Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von Microsoft & Co ist "gigantisch"

Der "große Wurf" für Open Source in Behörden steht laut dem Thüringer CIO Hartmut Schubert noch aus. Mit Gewohnheiten sei schwer zu brechen.

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2 Pinguin-Statuen

Ein Pinguin ist das Maskottchen des Linux-Kernels.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Für digitale Souveränität soll die öffentliche Hand in Deutschland mehr tun, meint Hartmut Schubert, Staatssekretär für Finanzen und IT in Thüringen. Die Abhängigkeit von Softwarekonzernen wie Microsoft, SAP oder Oracle in der Verwaltung ist ihm zufolge "so gigantisch, dass es uns zu allererst eine Menge Ressourcen kostet". Neben den ständig steigenden Ausgaben für Lizenzen und Integration "droht uns die Abschaltung".

Der SPD-Politiker verweist auf das Vorgehen der USA gegen Länder wie China und Venezuela. Thüringen wolle daher in fünf bis zehn Jahren im IT-Sektor in der Verwaltung autonomer werden, erklärte der Chief Information Officer (CIO) des Landes am Mittwoch bei einer Online-Konferenz des "Behörden-Spiegel". Das E-Government-Gesetz des Freistaats schreibt vor, stets den Einsatz von Open Source Software zu prüfen. Bei Cloud-Anwendungen sei dies bereits umgesetzt, bei der elektronischen Akte "sind wir noch an Microsoft gebunden".

In einigen kleineren Bereichen hat Thüringen freie Software entwickeln lassen und darüber etwa ein Governikus-Servicekonto für elektronisch nachvollziehbare Transaktionen an das Zentralportal angebunden. Ebenso basiert ein Beihilfeantrag für die Krankenversicherung auf Open Source.

Der bereits vor Jahren vom Bundesinnenministerium angekündigte "große Wurf" gegen Microsoft & Co "steht noch bevor", ist sich der Sozialdemokrat bewusst. Es gebe in Thüringen zwar keine rechtlichen Hürden mehr, aber ein Umsetzungsproblem. Gerade bei Office-Programmen sei vieles Gewohnheit: "Die Anwender wollen das behalten, was sie schon immer gemacht haben."

Zudem gebe es sehr spezielle Fachanwendungen, für die keine freie Softwarelösung verfügbar sei. Schubert plant nun eine zentrale Beschaffungsstelle mit höherer Fachkompetenz. Die gesamten IT-Ausgaben habe die Regierung bereits in einen gesonderten Einzelplan überführt, sodass die verfügbaren Mittel nicht nur für Lizenzen, sondern auch für Programmierarbeiten, Integration und Administration ausgegeben werden können.

Der 61-Jährige erinnerte daran, dass der Wandel "bei laufendem Betrieb" zu schaffen sei. Es gehe also in der Regel um kleine Schritte. Um mehr mobile Arbeitsplätze und Homeoffice einzurichten, habe die Verwaltung jüngst 1500 Mini-PCs auf Linux-Basis beschafft. Die müssen jetzt so funktionieren, "dass die Leute nicht sagen: ist alles Mist".

Im IT-Planungsrat von Bund und Ländern gibt es inzwischen eine Gruppe für digitale Souveränität, führte Schubert aus. Dank Onlinezugangsgesetz könne die Devise befolgt werden, wonach ein Land oder kommunaler IT-Dienstleister eine Lösung "für alle" entwickle. Hier gelte es, Abhängigkeit von einer Anstalt oder Firma zu vermeiden. Unklar sei noch, ob die Software Open Source sein solle, wenn der Bund die Erstellung aus dem Konjunkturpaket bezahle. Insgesamt hoffe er, dass in fünf bis zehn Jahren in der Verwaltung "Produkte mit geschlossenem Code keiner mehr will".

In Rheinland-Pfalz fehlt es laut Reiner Bamberger, der beim Oberverwaltungsgericht den Bereich IT-Sicherheit betreut, noch an rechtlicher Klarheit, was die öffentliche Freigabe selbstentwickelter Open-Source-Software angeht. Selbst beim Beheben von Sicherheitslücken in freier, unter dem Copyleft stehender Software bewege man sich in einer rechtlichen Grauzone, da die Patches veröffentlicht werden müssen. Eigentlich seien diese Werke zunächst Eigentum des Landes.

Er unterstütze die Kampagne Public Money, Public Code, wonach mit Steuergeld finanzierte Programme für die Verwaltung frei und wiederverwendbar sein sollen, betonte der Entwickler. Bei externen Software-Bestellungen "sagen wir auch öfter: wir hätten gern Zugriff auf den Code".

Beim Justizportal habe Rheinland-Pfalz positive Erfahrungen gemacht: Dieses stehe unter der European Public License (EUPL), sodass andere Länder es testen und weiterentwickeln können. Generell sieht er bei Open Source den Vorteil, Quelltexte einfacher überprüfen zu können. So ließen sich Debakel wie bei Solarwinds Orion besser ausschließen, die die ganze Verwaltung bedrohen.

Programmierern, die in Behörden Software teilen wollen, solle man keine Steine in den Weg legen, warb Matthias Kirschner, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), für rechtliche Nachbesserungen. Es müsse angesichts der vielen Vorteile freier Software, mit der staatliches Handeln besser kontrolliert werden könne, klaren politischen Rückhalt geben. Kein Amt müsse sich selbst "Code-Repositories" anschauen und durch Foren klicken. Es könne einfach in eine Ausschreibung schreiben, dass eine Lösung datenschutzkonform und wiederverwertbar sein muss.

Kirschner plädiert für eine andere Fehlerkultur in der Verwaltung. Experimentierklauseln würden erlauben, "andere Ansätze" testen zu können, ohne dass jede schlechte Rückmeldung gleich den Stopp eines Projekts nahelege. Er verwies auf Archive für freie Software für den Verwaltungseinsatz, die es unter anderem bei der EU-Initiative Joinup, in den USA auf Code.gov oder auf dem Portal OGP Toolbox gibt. Für Deutschland ist ein Depot zum Code-Austausch in der Verwaltung geplant.

Der Leiter der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Uni Bern, Matthias Stürmer, sieht in Open Source eine "Riesenchance für die öffentliche Verwaltung" und die von ihr angestrebte Datenautonomie. Der Schweizerische Bund sei momentan dabei, über einen Gesetzentwurf für den Einsatz elektronischer Mittel eine Grundlage für die Freigabe einschlägiger Programme zu schaffen. Im Kanton und der Stadt Bern gebe es eine solche Bestimmung bereits.

In der Praxis setzten die Behörden vor allem im Bereich Individualsoftware wie bei einem Kita-Gutscheinsystem auf Open Source. Freie Software habe keine eigene Marketingabteilung und lebe daher von Erfolgsgeschichten. Einfach weiter proprietäre Programme zu bestellen, ist für Stürmer keine Alternative: "Dann haben wir ein Riesen-Schlamassel."

(ds)