KLAGEFUCHS

Einfach schlau klagen.

Ladefuchs – Die teuerste Free-App, die wir je gebaut haben

30.04.2021Klagefuchs0 Kommentare

Es war so gewesen: Eigentlich wollten drei Freunde mit dem Ladefuchs nur die Elektromobilität ein Stückchen besser machen und der Community etwas zurückgeben. Dass die App mindestens für uns nicht kostenlos sein würde, war uns von Anfang an klar. Hunderte Stunden Arbeit, Logo-, Server- und AppStore-Kosten hatten wir einkalkuliert. Dass wir Dank der Arbeit am Ladefuchs im Rahmen einer frischen EU-weiten Abmahn-Masche den Gegenwert eines ordentlichen Gebrauchtwagens an einen Abmahnanwalt nach Österreich überweisen würden, hätten wir hingegen nie gedacht.

Spulen wir zurück in den Oktober 2020:

Wir waren sehr in unser neues Logo verliebt und diskutieren intern darüber, wie gut der Fuchs wohl in groß auf einem Auto aussähe. Dank der Google-Bildersuche findet sich schnell ein schönes Foto eines weißen Tesla Model 3 von autofilou.at und nach einer halben Stunde Photoshop sitzt der Fuchs halbwegs richtig auf dem Auto.
Unser Werk gefällt uns so gut, dass wir den Gedanken haben: »Sollen wir das mal twittern? Das könnte der Community gefallen!«. 
Da wir das Foto selbst nicht gemacht haben, nochmal zur Quell-Seite zurück. Autofilou.at – ein Autoblog aus Österreich, betrieben von drei Jungs, die wie wir offenbar Spaß an (E-)Autos haben. Dazu drehen und produzieren sie, vermutlich in ihrer Freizeit, unterhaltsame Youtube-Videos und schreiben fundierte Blogartikel. Alles sehr persönlich, mit Anspruch.
Wir finden uns dort wieder, als Podcaster (CleanElectric, Schlechtes Netz, Audiodump u.a.), E-Mobilisten und App-Entwickler einer kostenlosen App kennen wir das Konzept »anderen etwas kostenlos zur Verfügung zu stellen« sehr gut.

Der Youtube Kanal des Blogs zeigt nur knapp 600 Abonennten, viel zu wenig für die irre Schlagzahl an Videos und dieses Level an Qualität. Uns ist klar, dass die URL in das Foto rein muss, wir haben zusammen eine Reichweite von deutlich jenseits der 10.000 FollowerInnen – vielleicht haben sie ja ein bisschen was davon. Es ist nachts, der Eifer hatte uns gepackt und da wir davon ausgingen, dass beide Seiten etwas davon haben, wurde auch nicht groß über das Einholen von Erlaubnissen nachgedacht. Unser Tweet mit dem Text »Schnurr Schnurr« enthält also das Foto mit der in das Bild gebrannten Fußzeile »geklaut bei autofilou.at« (wer uns nur ein bisschen kennt, den wundert die Formulierung vermutlich nicht).

(Abbildung ähnlich)

Es kommt ein bisschen positives Feedback zu unserem Remix, aber (wie bei Twitter üblich) ist der Tweet schnell vergessen.

Ende November 2020 werden wir allerdings sofort wieder an den Tweet erinnert: im Briefkasten liegt per Einschreiben zugestellte Post aus Österreich. Diesmal ist man nicht zu schnell gefahren, sondern es ist eine Abmahnung der Kanzlei Steinmayr & Pitner aus Wien. Es geht um unseren Tweet mit genau diesem Bild, welchen wir laut des Schreibens »auf unserer Seite https://twitter.com/ladefuchs« veröffentlicht haben.

Verlangt wird ein Honorar für das Foto von 242 €. Das ist sicherlich nicht das günstigste Foto-Honorar, aber es erscheint uns im Rahmen. Aber dann geht’s los: Dazu kommen Anwaltsgebühren von 821,30€ + 20 % Ust, insgesamt also 1.228,42 €.
Hätten wir einfach eine Rechnung über das Honorar bekommen, wäre diese inzwischen bezahlt, diese Geschichte nie geschrieben und an dieser Stelle zu Ende. Aber wie passen ein Honorar von 242 € und ein Anwaltsschreiben, welches für den Laien sehr nach einem fertigem Template aussieht, für 1.228,42 € zusammen?

Das Problem, wie sich im späteren Schreiben vom 21.12.2020 der Kanzlei Steinmeyer & Pitner herausstellt, ist der konstruierte Streitwert des Unterlassungsanspruchs: 43.200,- €. Das wirtschaftliche Interesse von autofilou.at eine erneuten Nutzung des Fotos zu verhindern, soll ungefähr bei dem Faktor 200 liegen. Fakten, die für ein derartig hohes Interesse sprächen, werden nicht genannt.   

Als erste Amtshandlung löschen wir den Tweet.

Etwas verzweifelt suchen wir Rat bei Rechtsanwältin Beata Hubrig, welche wir, nicht zuletzt durch ihre Mitarbeit am Abmahnbeantworter, als Verteidigerin von VerbraucherInnen gegen unrechtmäßige urheberrechtlichen Abmahnungen kennen.

Rechtsanwältin Hubrig nimmt sich des Falls an und weist mit dem Hinweis auf grobe inhaltliche Fehler der Abmahnung die Ansprüche zurück. Sie teilt schriftlich mit, dass wir das Foto inhaltlich künstlerisch verändert haben und nie vorgegeben haben, Urheber zu sein. Für den Rechtsfrieden versprachen wir dennoch, die Nutzung des Fotos zukünftig zu unterlassen.

Da wir wiederholt feststellen mussten, dass die Abmahnung in ihrer Form gar nicht rechtmäßig war, folgen von Steinmayr & Pitner weitere Korrekturen. Letztendlich waren die unrechtmäßigen Abmahnkosten nicht relevant, da Steinmayr & Pitner über die Klage enorme Anwaltskosten (und somit Gewinn für sich, nicht für den Fotografen) generieren konnten.

Der wichtige Fakt, dass der Tweet gelöscht (und damit die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung aufgehoben) wurde, wird ignoriert. Eine Einigung erscheint aussichtslos.

Bisher schienen uns 1.228,42€ für die kurzzeitige Nutzung des Fotos und 297,50 € für unsere Anwältin ja schon viel, aber als der gegnerische Anwalt plötzlich einen Streitwert von 43.420€ ins Spiel bringt, sehen wir uns als Privatpersonen in der Insolvenz.

Im Januar dann reichen Steinmayr & Pitner Klage beim Handelsgericht Wien ein. Der Streitwert soll jetzt bei 35.000 € liegen (242,- € + 34.758,- €). Immerhin 10.000 € weniger als bei einer außergerichtlichen Einigung. Das macht aber bei einem derart hohen Streitwert für uns keinen Unterschied. Innerhalb von vier Wochen haben wir die Möglichkeit, uns gegen die Klage zu verteidigen.

Wir brauchen ein Woche, um einen Rechtsanwalt in Wien zu finden, der sich den Fall ansieht. Eine Woche später erhalten wir die Information, dass es aussichtslos sei, sich gegen die Klage zu wehren. Insbesondere sei es mit dem EU-Recht vereinbar, dass wir außerhalb von Deutschland wegen einer Urheberrechtsverletzung verklagt werden können. Außerdem gibt es eine Zuteilung aller Urheberrechtsstreitigkeiten in Österreich an das Handelsgericht Wien.

Ist der Gegenseite nicht klar, dass wir nicht die »Ladefuchs AG« mit Millionen Euro Venture Capital im Rücken sind, sondern nur Freunde, die in ihrer Freizeit eine kostenlose App bauen oder ob es einfach keinen interessiert, bleibt unklar.

Klar ist nur, dass Ende Januar eine Klage des Handelsgerichts Wien im Briefkasten wartet. Und da stehen wir als Privatpersonen nun, verklagt vor einem Gericht, das sich vorwiegend mit Wettbewerbsrecht beschäftigt. Ein Gericht, an dem eine Privatperson gar nicht auftreten darf, sondern nur Anwälte, in Person und vor Ort – und ausschließlich mit österreichischer Zulassung. Von einem Prozessrisiko von 10.000€ ganz abgesehen. 10.000 € – weil im Verfahren noch eigene Anwaltskosten dazu kommen plus Termingebühren.

Zusätzlich erhalten wir Kenntnis von einem Urteil, das Steinmayer & Pitner am Handelsgericht Wien erstritten. Darin heißt es, nur Erklärungen zur Unterlassung sind rechtlich wirksam, in denen sich der Abgemahnte einer Strafe unterwirft, falls er gegen die Unterlassung verstößt. 

Da unsere Anwältin »nur« eine deutsche Zulassung hat, wäre sie nicht in der Lage uns dort zu vertreten und in Anbetracht des hohen Risikos und leeren Geldbeutels einigen wir uns auf das Abwarten des Versäumnisurteils und Bezahlen der reduzierten Gebühren. So wäre das zumindest in Deutschland.

Ende April erreicht uns dann das Urteil. Die Klageschrift des gegnerischen Anwalts scheint aus den Augen eines Laien ungeprüft in ein Urteil überführt worden zu sein. Dass es sich bei dem getwitterten Bild um eine Bearbeitung handelt, dass wir Privatpersonen und keine Firma sind und durch die Löschung des Tweets die Urheberrechtsverletzung nicht besonders intensiv war und wir bereits das Unterlassen versprachen, scheint alles in keinster Weise relevant zu sein.

Relevant scheinen aber die durch die Klage generierten Verfahrenskosten zu sein: 

Da wir weiterhin keine österreichischen Anwälte sind, können wir keinen Einspruch einlegen. Wir können nicht mal anrufen und Bescheid sagen, dass wir gar keine Firma und nicht sicher sind, ob das Handelsgericht hier überhaupt zuständig ist. Offenbar gibt die Rechtslage in Österreich das alles her, anders als in anderen EU-Staaten.

Zu alledem kommen überraschend im Urteil mehrfache Gebühren hinzu und blasen damit die Endsumme auf 3448,40 € auf. 3448 €, welche wir jetzt von unserem Ersparten zahlen, anstatt sie für Urlaub, die Kinder oder irgendetwas, das Freude bringt, zu nutzen.

Übrigens: Von diesem Haufen Geld bekommt autofilou.at weiterhin genau nur 242€. Eine Mail, ein Tweet oder ein Anruf hätten genügt um das direkt unter Gleichgesinnten zu klären, denn am Schluss sind wir alle genau dasselbe:
3 Freunde, die für eine Sache brennen und zusammen in ihrer Freizeit an etwas arbeiten.

UPDATE 02.02.2021:

Nach einem langen Gespräch mit autofilou wissen wir:
Ladefuchs ♥️ Autofilou.
Das eigentliche Problem liegt im Urheberrechts-System!

Zum Artikel

Wer ist eigentlich schuld?

Malik von audiodump.de
Bastian ’Schlingel‘ Wölfle von bitsundso.de
Illu: Aga und Marcel-André

Ideen? Bugs?

Für iOS bitte an ios@ladefuchs.app
Für Android an android@ladefuchs.app
Falls du Vorschläge für Fußnotentexte hast, lass es uns wissen.