Amazon-Manager: Spenden von Waren ist noch immer teurer als ihre Vernichtung

Amazon-Deutschlandchef Ralf Kleber appelliert an die neue Bundesregierung, die Umsatzsteuer bei Spenden zu entsorgen. Die Ampel-Koalition macht erste Zusagen.

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(Bild: Eric Broder Van Dyke/Shutterstock.com)

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Mitten in der laufenden Rabattschlacht rund um Black Friday und Cyber Monday hat Ralf Kleber, Deutschlandchef von Amazon, immer wieder laut werdende Vorwürfe der massenhaften Retourenvernichtung zurückgewiesen. "Bei der Ware, die uns gehört, liegt dieser Anteil im Promillebereich", erklärte er gegenüber dem "Handelsblatt". Es würden im Prinzip nur Dinge entsorgt, "die aus Gründen der Hygiene oder der Produkthaftpflicht nicht mehr verkauft werden dürfen". Rund 1,5 Millionen unverkäufliche Packungen habe der E-Commerce-Riese ferner im vergangenen Jahr an lokale Tafeln gespendet.

Retouren gehörten im Handel zum Geschäft und seien je nach Produkt sehr unterschiedlich, verdeutlichte Kleber: "Wir versuchen natürlich, möglichst viel der retournierten Ware als Neuware wieder in den Verkauf zu bringen" und den Rest als "B-Ware zu Schnäppchenpreisen" loszuwerden. Generell habe "niemand habe ein Interesse an Retouren – weder der Kunde, noch die Umwelt und wir auch nicht".

Verkaufspartner auf dem Amazon Marketplace mit weniger großem finanziellem Polster sehen sich dem langjährigen Landesmanager zufolge dagegen häufig aus wirtschaftlicher Notwendigkeit genötigt, Waren zu vernichten. "Die gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland schreiben immer noch vor, dass auf Produkte, die gespendet werden, die Umsatzsteuer gezahlt werden muss", klagt Kleber. "Damit wird vielfach das Spenden teurer als die Entsorgung." Viele kleine Händler, die Waren in Amazon-Logistikzentren lagerten, "können sich das schlicht nicht leisten".

Der Finanzexperte appelliert deshalb an die kommende Bundesregierung, die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu ändern. Amazon dränge seit Jahren beim Bundesfinanzministerium darauf. Vorbild seien da Länder wie Belgien, Frankreich und Großbritannien, die diesen Hemmschuh längst beseitigt hätten. Allein im Vereinigten Königreich seien so in kurzer Zeit "70 Millionen an Retouren und unverkauften Produkten von Drittanbietern gespendet" worden.

Tatsächlich ist es für Unternehmen in Deutschland zurzeit oft günstiger, Ware zu verschrotten als zu spenden. Kanzler in spe Olaf Scholz wollte als Finanzminister jedoch an der Steuer auf Sachspenden festhalten: Diese abzuschaffen, würde Missbrauch ermöglichen und wäre EU-rechtlich nicht zulässig, betonte ein Sprecher des SPD-Politikers zumindest noch 2019 gegenüber c't. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte dagegen mit der Wirtschaft, endlich eine entsprechende Umsatzsteuerbefreiung einzuführen.

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP vom Mittwoch heißt es nun: "Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen." Allgemein unterstreichen die Ampel-Parteien zudem: "Wir werden bestehende steuerrechtliche Hürden für Sachspenden an gemeinnützige Organisationen durch eine rechtssichere, bürokratiearme und einfache Regelung beseitigen, um so die Vernichtung dieser Waren zu verhindern."

Für Amazon ist die Entsorgung von Produkten von Handelspartner aber offenbar auch ein Geschäft. Der Handelsgigant vernichtet nach Recherchen von Greenpeace unter anderem in einem speziellen Lager in Winsen in Niedersachsen wöchentlich eine Lkw-Ladung neuwertiger Ware wie Heizstrahler, Ladegeräte und Tintenpatronen. Drittanbieter beauftragten Amazon mit der Entsorgung, um die Kosten für Lager oder Rücksendung zu vermeiden.

Amazon erhebt laut seiner nach Registrierung zugänglichen Preisliste für Verkaufspartner ("Reseller") Langzeitlagergebühren. Diese betragen etwa bei DVDs bei über einem Jahr Aufbewahrung aktuell rund 0,20 Euro pro Stück. Der Aufschlag entfällt, wenn rechtzeitig eine "Entfernung oder Entsorgung der Einheiten angefordert" wird. Für "lokale Remissionsaufträge" zur Vernichtung verlangt der Konzern zwischen 0,25 und 3,90 Euro – je nach Gewicht. Ab fünf Kilo werden weitere Aufschläge fällig. Christian Pietsch, dessen Unternehmen über den Marktplatz Lederwaren anbietet, bestätigte die Praxis gegenüber ARD und "Zeit".

Undercover-Reporter um Günter Wallraff verfolgten hierzulande testweise bestellte und mit Trackern bei der Rückgabe versehene T-Shirts und Kopfhörer jüngst zudem bis nach Polen zu einem Amazon-Werk in der Nähe von Kattowitz. Eine dort angestellte "Zerstörerin" berichtete dem Team, dass Deutschland in der Anlage den größten Markt darstelle und sämtliche Produkte vernichtet würden. Dabei handele es sich auch um Neuware.

[Update 29.11.2021 11:17 Uhr:] Amazon legt Wert auf die Feststellung, vor Kurzem zwei Programme für den einfacheren Weiterverkauf von Retouren und unverkaufter Bestände an Aufkäufer von Restposten oder direkt an Kunden der Plattform in einigen Staaten wie Deutschland aufgelegt zu haben. Sie sollen Drittanbietern helfen, "mehr Ware zu verkaufen und Lagerkosten zu reduzieren". Das Zusammenspiel dieser Angebote und der Gebührenstruktur sorgten dafür, dass die Entsorgung von Produkten für Verkaufspartner "die wirtschaftlich am wenigsten attraktive Option ist".

(tiw)