Urheberrechtsreform: Oettinger wettert gegen freie Inhalte-Schnipsel

Der frühere EU-Kommissar hält die hierzulande geplante Bagatellausnahme für nicht-kommerzielle Nutzungen in sozialen Medien für europarechtswidrig.

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(Bild: gotphotos/Shutterstock.com)

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Die vom Bundesjustizministerium vorgesehene vergütungspflichtige Ausnahme für geringfügige Nutzungen von Schnipseln aus Video-, Audio- und Textmaterial auf Online-Plattformen für nichtkommerzielle Zwecke missfällt dem ehemaligen EU-Kommissar Günther Oettinger. Der CDU-Politiker reibt sich daran, dass damit zu viele Inhalte gleichsam verschenkt würden.

"Hier geht es darum, was Google tun darf", erklärte Oettinger gegenüber dem Newsletter "Playbook" des Online-Magazins "Politico". "Der Entwurf lässt eindeutig zu viele kostenfreie Elemente zu", was gegen den Geist und den Text der EU-Urheberrechtsrichtlinie verstoße. Sollte der Bundestag die heftig umstrittene Initiative mit dieser Klausel verabschieden, wäre ein Vertragsverletzungsverfahren seiner Ansicht nach unvermeidbar.

Laut der "Bagatellschranke" dürften bis zu 20 Sekunden einer Audio- oder Videodatei, bis zu 1000 Zeichen eines Texts oder Bilder bis 250 Kilobyte ohne Freigabe des Rechteinhabers etwa in sozialen Medien verwendet werden. Oettinger, der als Kommissar für die digitale Gesellschaft und Wirtschaft die EU-Urheberrechtsnovelle 2016 auf den Weg gebracht hatte, hält eine Debatte darüber für verlorene Zeit: "Dieser Streit wurde ausgetragen und ist beigelegt" unabhängig davon, ob man dies gutheiße oder nicht. Es gebe daher "keine Notwendigkeit für ein Rückspiel in Deutschland".

Zugleich beklagte der Christdemokrat das schleppende Tempo bei dem Gesetzesverfahren in Deutschland: "Von einer Umsetzung sind wir noch weit entfernt." Er erwarte, dass sein Heimatstaat die Vorgaben aus Brüssel vollständig implementiere. Dafür blieben aber nur noch sechs Monate Zeit. Andere Mitgliedsstaaten seien hier schon deutlich weiter.

Zum Vorbild nehmen sollte sich die Bundesregierung nach Ansicht Oettingers den neuen Kurs in der Technologiepolitik unter der Kommission von Ursula von der Leyen (CDU). Diese wolle "zurecht europäische Regeln einführen, die digitale Dienste in der EU auf eine Stufe mit Google oder Alphabet und Facebook stellen".

Der Baden-Württemberger, der jüngst einen Sitz im Aufsichtsrat des Tunnelbohrmaschinenherstellers Herrenknecht übernahm, hatte bereits 2019 vor einem deutschen "Sonderweg" im Umgang mit der EU-Copyright-Reform gewarnt. Damals stieß er sich just an dem Vorschlag aus seiner Partei, eine Bagatellklausel einzuführen und so Upload-Filter unnötig zu machen. Die CDU wollte schon damals auf Pauschallizenzen und eine entsprechende Vergütung setzen.

Zuvor erhoben auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (beide CDU) Einwände gegen die von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) vorgeschlagene Bagatellschranke. Viele Künstler und hinter ihnen stehende Lobbyvereinigungen wie der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) und der Verband unabhängiger Musikunternehmer (VUT) laufen Sturm gegen freie Inhalte-Schnipsel und das ebenfalls neue Nutzerrecht für Pastiche: Damit sollen etwa Remix, Meme, Mashups, Fan Art oder Samples legalisiert und vergütungspflichtig werden.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) betont dagegen in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf, dass die Schranke für Bagatellnutzungen europarechtlich zulässig und für die Grundrechte der Nutzer "von erheblicher Bedeutung ist". Pastiche-Nutzungen sollten vergütungsfrei sein wie Zitate und Parodien.

Auch Social-Media-Größen und Verbraucherschützer halten es für unerlässlich, die Nutzerrechte bestmöglich zu schützen. Sonst wäre die Richtlinie nicht grundrechtskonform umsetzbar. Die Bundesregierung will ihren gemeinsamen Entwurf laut dem aktuellen Kabinettsplan am 16. Dezember zusammen mit zahlreichen anderen brisanten netzpolitischen Initiativen auf den Weg bringen.

(bme)