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Golfstrom Die Wärmepumpe für Nordeuropa

Der Golfstrom ist eine der größten Meeresströmungen der Erde und er ist besonders warm. Ohne ihn wäre es bei uns mehrere Grad kälter. Klimaforscher erwarten, dass der Golfstrom schwächer wird - mit zum Teil dramatischen Folgen.

Stand: 19.03.2024

Zahlreiche Tierarten nutzen den Golfstrom als Transportmittel auf ihren Wanderungen von der Karibik in nördliche Gebiete. Aber der mächtige Strom führt nicht nur Meerestiere mit sich und ist wichtig für das marine Ökosystem - das warme Wasser versorgt große Teile Europas auch mit gigantischen Mengen an Wärmeenergie. Ohne den Golfstrom sähe das Klima bei uns ganz anders aus: karge, eisbedeckte Landschaften statt saftiger Wiesen, belaubter Wälder und florierender Landwirtschaft.

Vereiste Nordsee ohne Golfstrom

Die Hudson Bay in Kanada ist monatelang vereist. Ein Glück für Europa, dass es den Golfstrom gibt.

Es gibt Befürchtungen, dass der Golfstrom durch die Folgen der Klimaerwärmung zum Stillstand kommen könnte. Das warme Wasser des Golfstroms ist nämlich dafür verantwortlich, dass das Klima in Nordeuropa mild ist. Ohne den Golfstrom wären die Elbmündung und die Nordsee wohl monatelang vereist - wie Orte auf ähnlichen Breitengraden, beispielsweise die Hudson Bay in Kanada.

So funktioniert der Golfstrom

Benjamin Franklin skizzierte zum ersten Mal die Meeresströmungen des Golfstroms. Das Bild zeigt ein Porträt von Benjamin Franklin.

Der Golfstrom ist eingebunden in ein komplexes System von Meeresströmungen und Teil der sogenannten Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Er beginnt im Atlantik westlich des afrikanischen Kontinents, fließt zum Golf von Mexiko und nimmt dabei viel Wärme auf. Dann vereinigt er sich mit dem Florida- und dem Bahamasstrom. Gemeinsam bilden sie den eigentlichen Golfstrom, benannt nach dem Golf von Mexiko.

Der Golfstrom entlang der Küste Nordamerikas

Mehrere Hundert Meter tief und bis zu 200 Kilometer breit fließt ein Stromband von warmem Meerwasser westlich von Afrika, entlang der Küste Nordamerikas, in Richtung Norden. Bei North Carolina, am Cape Hatteras, biegt er nach Nordosten ab.
Jetzt ist er statt 100 bis 200 Kilometer nur noch 50 Kilometer breit und transportiert mit einer Fließgeschwindigkeit von rund zwei Metern pro Sekunde bis zu 100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde in Richtung Europa. Auf dem Weg nach Norden kühlt das Wasser ab, bis es in der Grönlandsee bis auf 4.000 Meter Tiefe absinkt.

Der Golfstrom vor Europa

So fließt der Golfstrom an den Küsten Nordamerikas und Europas entlang.

Vor Europa spaltet sich der Golfstrom wieder in drei Stromsysteme auf: Ein Teil fließt nach Süden in die Sargassosee östlich Floridas, ein anderer nach Osten in den Kanarenstrom und der dritte fließt weiter nach Nordwesteuropa als Nordatlantischer Strom.

"Der Strom war so stark, dass die Schiffe oft Mühe hatten, sich ihm entgegenzusetzen."

Das schrieb der Spanier Ponce de Leon schon 1513 über den Golfstrom.

Sogwirkung zieht den Golfstrom nach Europa

Auf dem Weg Richtung Arktis kühlt sich das Wasser des Nordatlantikstroms immer mehr ab. Auch ist es durch die Verdunstung salzreicher geworden. Beides - die Kälte und der hohe Salzgehalt - machen das Wasser dichter und damit schwerer. An mehreren Stellen im Meer sinken deshalb Wassermassen in die Tiefe: an der Labradorsee, zwischen Kanada und Grönland, an der Framstraße, zwischen Spitzbergen und Grönland, und an der Dänemarkstraße, zwischen Grönland und Island.

Hier bilden sich unter Wasser die größten "Wasserfälle" der Erde. In 15 Kilometer breiten Säulen, sogenannten Chimneys, fallen 17 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde bis zu 4.000 Meter in die Tiefsee hinunter. Das ist 15-mal so viel Wasser, wie alle Flüsse der Welt führen. Durch den abrupten Wasserabfall entsteht eine Sogwirkung, die den Golfstrom überhaupt erst in Richtung Europa zieht. Dies ist die wichtigste Funktion des Nordatlantischen Stroms: Es ist das "globale Förderband", das die Tiefseeströmungen in Bewegung hält.

Europa ohne den Golfstrom: Droht uns eine neue Eiszeit?

Seit einigen Jahren untersuchen Wissenschaftler diese globale Wasserpumpe verstärkt. Denn durch die Erderwärmung schmilzt bereits das Eisschild Grönlands. Sollten die Polarkappen noch stärker abschmelzen, könnte sich der Salzgehalt des Meeres vor Grönland so weit verringern, dass der Nordatlantische Strom nicht mehr schwer genug ist. Das leichtere Süßwasser würde nicht mehr im gewohnten Umfang absinken und der Golfstrom könnte im schlimmsten Fall zum Erliegen kommen.

Zu einer Eiszeit werde es Wissenschaftlern des Deutschen Klima-Konsortiums zufolge wohl nicht kommen. Im Extremfall kann es theoretisch mehrere Grad kühler werden in Europa. Und wir müssten in Nordeuropa noch deutlich häufiger mit Extremwetterereignissen und einem Anstieg des Meeresspiegels rechnen. Wird der Golfstrom langsamer, macht sich das auch im Rest der Welt bemerkbar: Niederschläge in Südamerika und Afrika sowie der Monsun in Asien würden sich verändern. An den Küsten der USA käme es wohl zu Überschwemmungen und stärkeren Hurrikans.

Ozeansedimente: Golfstrom wird wärmer und langsamer

Temperaturschwankungen der Strömungen sind erstmal normal - das haben jahrelange Messungen der Ozeanografen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im West- und Ostatlantik bewiesen. Ihre Beobachtungsdaten und Modellsimulationen aus den Jahren 1900 bis 2008 haben aber auch nachgewiesen, dass sich der Golfstrom im vergangenen Jahrhundert um etwa 1,2 Grad Celsius erwärmt hat, der Atlantik um 0,4 Grad. Dies hat auch Konsequenzen für die Aufnahme von Kohlendioxid im Ozean, die bei höheren Temperaturen geringer ausfällt. Auch wenn sich Atmosphäre und Ozean weiter erwärmen, kann Oberflächenwasser nicht mehr so gut in Tiefenwasser umgewandelt werden.

Eine weitere Erkenntnis über den Golfstrom veröffentlichte ein internationales Wissenschaftlerteam im April 2018: Die Forscher hatten Computersimulationen mit Messdaten der Temperatur der Meeresoberfläche verglichen. Als Ergebnis stellten sie fest, dass sich die Strömung im Atlantik seit den 1950er-Jahren um 15 Prozent verlangsamt hat. Anfang 2021 veröffentlichten die Wissenschaftler eine weitere Studie mit dem Fazit: Der Golfstrom war in mehr als tausend Jahren nie so schwach wie in den vergangenen Jahrzehnten.

Wann erreicht der Golfsstrom den kritischen Kipppunkt?

Eine Studie von August 2021 stellt sogar die Hypothese auf, dass der Golfstrom bereits bald einen kritischen Kipppunkt erreichen könnte, ab dem ein Erliegen der Strömung nicht mehr aufzuhalten ist. Dabei beziehen sich die Forscher auf sogenannte Proxydaten, Material aus der Erdvergangenheit wie Ozeansedimente, die aber auch gewisse Unsicherheiten und Schwankungen mit sich bringen.

Was passiert, wenn über einen sehr langen Zeitraum ständig Süßwasser, zum Beispiel von schmelzenden Gletschern der Arktis, in den Nordatlantik fließt, haben Forscher aus den Niederlanden in einem Computermodell nachgerechnet. Ihre neuartige Modellstudie von Februar 2024 zeigt: Unter diesem Einfluss könnte schon vor dem Jahr 2100 im Atlantik ein Kipppunkt erreicht werden, nach dem der Golfstrom abbricht. Auf der ganzen Nordhalbkugel könnte es dann unter anderem im Durchschnitt bis zu 30 Grad kälter werden, so die Forscher. Allerdings bezog dieses Modell keine anderen Einflüsse auf das Klima, wie zum Beispiel die Klimaerwärmung, mit ein. Ziel der Studie war es zu zeigen, was passieren kann, wenn immer mehr Süßwasser ins Meer strömt. Sie zeigt dagegen nicht, wie sich das Strömungssystem in der Realität des Klimawandels verhält. Auch die Frage wann genau der Kipppunkt erreicht sein könnte, kann die Studie nicht beantworten. Dafür brauchen die Forscher weitere genauere Beobachtungsdaten.

"Cold Blob ": Hinweis für eine Abschwächung des Golfstromsystems?

Es gibt ein Gebiet im Nordatlantik, das sich im Gegensatz zu den meisten Regionen im Meer nicht erwärmt, sondern kühler ist. Der "Cold Blob" (Nordatlantisches Erwärmungsloch) könnte die Folge davon sein, dass bereits weniger warmes Wasser Richtung Norden gepumpt wird. In einer im April 2022 erschienenen Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel weisen die Forschenden darauf hin, dass der "Cold Blob" jedoch auch durch Aerosole und Wolken in der Atmosphäre zustande kommen kann. Um den Kipppunkt des Golfstroms voraussagen zu können, sollen künftig weitere direkte Messungen im Ozean ausgewertet werden.

IPCC-Bericht zur Abschwächung des Golfstromsystems

Direkte Messungen der Strömung an bestimmten Punkten im Meer gibt es nämlich erst seit rund 20 Jahren. Bisher zu kurz, um damit einen sichtbaren Trend zum Rückgang des Golfstroms feststellen zu können, sagt auch Prof. Dr. Monika Rhein, Ozeanografin an der Universität Bremen und Wissenschaftlerin des Deutschen Klima-Konsortiums. Den Daten zufolge unterliegt die Strömung sehr starken natürlichen Schwankungen. Dabei könnten Hinweise auf den menschengemachten Klimawandel aber auch leicht verlorengehen. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung zeigen sich im Ozean nämlich auch verzögert. Dennoch könnte die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) laut Berechnungen des Deutschen Klima-Konsortiums bis etwa zum Jahr 2100 bis zu 40 Prozent an Dynamik verlieren - sofern so viele Emissionen ausgestoßen werden wie bisher.

Auch der sechste Sachstandbericht des IPCC, veröffentlicht in den Jahren 2021 bis 2023, bezieht sich auf die direkten Messungen im Meer: Die Forschenden, die Studien weltweit ausgewertet haben, vermuten, dass die AMOC im Laufe des 21. Jahrhunderts, unabhängig vom Klimaschutz-Szenario, sehr wahrscheinlich abnehmen wird. Unklar ist bisher noch, wie stark sich die Strömung abschwächen wird. Außerdem habe man "mittleres Vertrauen" (medium confidence), dass es nicht zu einem Kollaps vor dem Jahr 2100 kommt. 

Geschichte der Meeresströmungen: Schmelzwasserflut löste Kältephase aus

Eine gewaltige Schmelzwasserflut legte in der letzten Eiszeit den wärmenden Nordatlantikstrom still und ließ die Nordhalbkugel wieder vereisen. Entscheidend für den Klimawechsel vor 12.900 Jahren war jedoch nicht nur, wie viel Schmelzwasser aus der Arktis in den Atlantik strömte, sondern auch, wo dies geschah. Das haben US-amerikanische Forscher bei der Simulation dieser Ereignisse festgestellt. Sie zeigt, dass das Schmelzwasser nicht, wie bisher angenommen, auf Höhe des Sankt-Lorenz-Stroms in den Atlantik floss, sondern 4.000 Kilometer weiter nordwestlich über den Mackenzie-Fluss ins arktische Meer. "Die Ursache der damaligen Abkühlung genau zu kennen, ist wichtig, um zu verstehen, wie sich unser Klima in der Zukunft ändern könnte", sagt Alan Condron von der US-amerikanischen University of Massachusetts in Amherst. Denn auch heute ströme durch die Klimaerwärmung wieder vermehrt Schmelzwasser aus Grönland und der Arktis ins Meer.

Zukunft des Golfstroms: Wohin fließt das Schmelzwasser?

Hinweise auf die Zukunft des Golfstroms kann auch die Richtung geben, in die sich das schmelzende Eis bewegt. Unsicher ist laut Klimaforscherin Monika Rhein, ob das Schmelzwasser in genau die Gebiete der unterirdischen Wasserfälle fließt und dort Einfluss auf den Golfstrom haben wird. Das Süßwasser könnte auch um die Gebiete der Tiefenwasserbildung herumfließen. Dann sorgt das Schmelzwasser von Grönlands Festland zwar für einen Anstieg des Meeresspiegels, nehme aber nicht sofort Einfluss auf den Golfstrom.

Sorgen bereitet Forschenden aber nicht nur das schmelzende Eis von Grönland. Auch das im Meer schwimmende Eis, ebenfalls Süßwasser, schmilzt. Klimamodelle der aktuellen IPCC-Berichte gehen davon aus, dass es künftig im Sommer wohl immer weniger Meereis vor der Arktis geben wird. Und dieses schmelzende Eis könnte sich direkt in Richtung Framstraße bewegen - einem Zentrum des Golfstroms mit seiner unterirdischen Wasserpumpe.

"Auch der Golfstrom zeigt, dass das Fortschreiten des Klimawandels ein gewagtes Experiment ist, das wir besser aufhalten sollten."

Prof. Monika Rhein, Ozeanografin

Sendungen zum Thema Golfstrom:


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