Mehr als ein Jahr lang wurde in Deutschland die Gefahr einer Deindustrialisierung heruntergespielt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von Panikmache und zeichnete das Bild einer schönen grünen Industriezukunft. In seiner Welt sollte Deutschland zum Musterknaben und weltweit leuchtenden Vorbild grüner Industriepolitik werden. Mit blumigen Worten erklärte der Vizekanzler im Koalitionsvertrag Ende 2021: „Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand. Es gilt die soziale Marktwirtschaft als eine sozial-ökologische Marktwirtschaft neu zu begründen.“

Eineinhalb Jahre später sind die Alarmsignale nicht mehr zu überhören. Die Stimmung in der deutschen Industrie befindet sich auf einem Tiefpunkt, die gesamte Welt sorgt sich um die viertgrößte Volkswirtschaft, verheerend fiel die jüngste Prognose des IWF aus – der eXXpress berichtete. Während die Wirtschaft in China, den USA und in Russland nun wieder wächst, wird sie in Deutschland schrumpfen, noch stärker als befürchtet.

War es das mit der Industrienation Deutschland?

Inmitten dieser Diskussion wartet Habeck in einem acht-minütigen ARD-Interview mit einer Aussage auf, die international für Kopfschütteln, in Deutschland für schlimme Befürchtungen sorgt. Jener Wirtschaftsminister, der noch vor wenigen Monaten trotz Energiekrise die Schließung der drei letzten Atomkraftwerke Deutschlands beschlossen hat, und damit Deutschland zwölf Prozent billiger, sauberer und zuverlässiger Stromversorgung genommen hat, gibt nun unumwunden zu: Ohne Schulden und milliardenschwere Subventionen wird die deutsche Industrie nicht überleben, weil die Energiekosten zu hoch sind. Wow!

Auf einmal ist Deutschlands Deindustrialisierung doch kein Hirngespinst: Habecks Interview auf ARD lässt die Wochen hochgehen.ARD

Mit anderen Worten: Deutschland verliert seine gesamte Industrie. Eine im 19. Jahrhundert entstandene Industrienation wäre dann Geschichte. Deshalb will Habeck auf einmal einen Industriestrompreis durchsetzen – also einen mit Steuergeldern finanziert staatlichen Zuschuss zu den Stromkosten energieintensiver Betriebe.

Für Habeck war es kein Problem, drei AKW abzustellen. Nur leider räumt auch er nun ein: Der Strompreis ist für die Industrie zu hoch.ARD

„Keine Gelder aufnehmen oder keine Industrie mehr haben?“

Habeck wörtlich: „Die Industrie wünscht sich für diese kritische Phase, wo die Preise höher sind, die Strompreise vor allem höher sind, als sie davor waren, da wünscht sie sich weitere Unterstützung. Das Stichwort ist ein Industriestrompreis. Dafür werbe ich auch. Wir haben auch nicht mehr viel Zeit, sonst in der Tat sagen die: Wir investieren schon, aber nicht mehr in Deutschland.“ Das klingt bereits schlecht, neu ist, dass es aus dem Mund des Wirtschaftsministers zu hören ist: keine Investments mehr in Deutschland.

Finanzminister Christian Lindner (FPD) ist allerdings von neuen Schulden alles andere als angetan. Nun wird Habeck im ARD-Interview noch deutlicher: „Das sind Gelder, die wir aufnehmen, das sind also schuldenfinanzierte Gelder. Deswegen verstehe ich auch, dass der Finanzminister da kritisch draufschaut. Aber die Frage ist: Keine Gelder aufnehmen oder keine Industrie mehr haben? Und ich werbe dafür, dass wir uns für die Industrie entscheiden.“

Journalisten, Unternehmer und Wirtschaftsexperten sind fassungslos.

„Robert Habeck ist ein Hochstapler“

Daniel Gräber, Wirtschaftsressortleiter im Monatsmagazin „Cicero“, kommentiert: „Der Mann, der nicht die Courage aufbrachte, sich gegen die Anti-Atom-Lobby innerhalb seiner Partei durchzusetzen, um die noch tadellos funktionierenden deutschen Kernkraftwerke vor dem Abriss zu bewahren, erklärt nun zur besten Sendezeit, dass die deutsche Industrie kurz vom Exodus ist, weil die Strompreise zu hoch seien.“ Was der Grünen-Politiker erzählt, „ist dermaßen realitätsfern und in sich widersprüchlich, dass eine erschreckende Schlussfolgerung bleibt: Wir haben es mit einem Hochstapler zu tun. Habeck spielt Wirtschaftsminister. Er weiß eigentlich nicht, was er tut. Und wenn er darüber redet, redet er sich vor allem selbst etwas ein.“

Auch Professor Clemens Fuest, Präsident des Münchener Ifo-Instituts, hält fest: Deutschland kann sich nicht mit Subventionen über Wasser halten. „Staatliche Subventionen sind nicht die Lösung, das sollten wir möglichst schnell abbauen oder gar nicht erst anfangen“, sagt er gegenüber der „Bild“. „Und wir sind dabei, Einzelinvestitionen mit sehr viel Geld zu subventionieren – wie etwa die Chipfabrik in Magdeburg. Die zehn Milliarden Euro für Intel sind verpulvert. Was zukunftsfähige Industrien sind, das muss am Markt entdeckt werden. Das weiß die Politik nicht und kann sie auch nicht herbeisubventionieren.“

Wirtschaftsexperte Clemens Fuest übt scharfe Kritik.APA/AFP/Christof STACHE

Weltweit sieht man Deutschland auf dem Weg der Deindustrialisierung

Sorgen um die deutsche Wirtschaft macht man sich mittlerweile auch in den USA. „Europas Wirtschaftsmotor gerät ins Stocken: Deutschland deindustrialisiert sich“, titelt „Politico“. Die US-Zeitung warnt: „Der Niedergang der größten Volkswirtschaft des Kontinents wird die bereits polarisierte politische Landschaft der EU erschüttern.“ Und: „Deutschlands größte Unternehmen kehren dem Vaterland den Rücken.“ Erwähnt wird der 1865 gegründete Chemiegigant BASF, der seine neuen Investitionen ins Ausland verlagert und im Februar die Schließung einer Düngemittelfabrik in Ludwigshafen angekündigt hat, was den Abbau von rund 2600 Arbeitsplätzen bedeutet.

Vom grünen Musterland könnte Deutschland schon bald zum weltweit abschreckenden Beispiel grüner Klimapolitik werden. Habecks wahnsinnig ehrgeiziger Plan für Deutschland könnte an der Realität zerschellen – mit unabsehbaren Folgen für Deutschland und Europa, in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht.