EU-Parlament billigt 1-Stunden-Löschfrist für terroristische Inhalte

Die EU-Abgeordneten haben die umstrittene Verordnung für grenzüberschreitende Eil-Löschanordnungen für Terrorpropaganda im Internet angenommen.

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(Bild: Katya Rekina/Shutterstock.com)

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Entgegen Warnungen von Bürgerrechtlern und Providern hat das EU-Parlament am Mittwoch den Entwurf für eine Verordnung befürwortet, wonach Betreiber von Online-Plattformen künftig "terroristische Inhalte" auf Anordnung beliebiger Behörden aus einem Mitgliedsstaat innerhalb von einer Stunde löschen müssen. Ein Richtervorbehalt ist nicht vorgesehen. Terroristen soll damit erschwert werden, im Internet radikale Ansichten zu verbreiten oder Anhänger zu rekrutieren.

Auf den Gesetzestext hatten sich Verhandlungsführer des Parlaments, des Ministerrats und der Kommission im Dezember nach langen Auseinandersetzungen verständigt. Vertreter der Mitgliedsstaaten stimmten dem Kompromiss im Rat im März zu. Der federführende Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Parlaments hatte die Übereinkunft schon zuvor im Januar bestätigt. Vorige Woche empfahl er dem Plenum mit 52:14 Stimmen, diesen Weg mitzugehen. Fraktionen wie die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit CDU und CSU, die Sozialdemokraten sowie die Liberalen waren dafür, unter anderem Grüne und Linke dagegen.

Die Frist für Einsprüche gegen den Kompromiss verstrich am Dienstagabend. Die Verordnung gilt damit nun prinzipiell als angenommen. Am Mittwochabend sollte es noch eine Aussprache dazu im Plenum des Parlaments geben, mit deren Ende das Dossier automatisch bestätigt wird. Die für Donnerstag geplante Abstimmung aller Abgeordneten ist dann nicht mehr nötig. Bürgerrechtler von der Initiative European Digital Rights (EDRi) beklagten den Wegfall des abschließenden Votums: die Bürger könnten so nicht sehen, wer für oder gegen die Verordnung stimmte.

Mit der Entscheidung der Volksvertreter ist das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Die Verordnung kann nun am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Ein Jahr später wird sie direkt anwendbar sein. Sie muss dafür nicht zwingend erst in nationales Recht umgesetzt werden.

Die Löschaufforderungen können sich laut dem Entwurf etwa auf Texte, Bilder sowie Ton- oder Videoaufnahmen inklusive Live-Streamings beziehen, die zu terroristischen Taten anstacheln oder Anleitungen für den Bau von Bomben oder Waffen enthalten. Internetplattformen werden zwar nicht verpflichtet, den gesamten Datenverkehr zu überwachen. Wenn auf ihnen aber bereits terroristische Inhalte veröffentlicht wurden, müssen sie besondere Maßnahmen ergreifen, um ihre Dienste vor deren weiteren Verbreitung zu schützen.

Über die Wahl der Mittel können die betroffenen Firmen selbst entscheiden. Ausdrücklich gibt es keine Vorgabe, "automatisierte Werkzeuge" zu verwenden. Dies konnten die Abgeordneten durchsetzen, um Upload-Filter nicht obligatorisch zu machen.

Über 60 zivilgesellschaftliche Organisationen schlugen vorigen Monat dennoch Alarm, dass Plattformbetreiber künftig auch Nachrichteninhalte sowie Beweise für Kriegsverbrechen oder die Misshandlung von Minderheiten automatisch verstärkt entfernen dürften. Die Verordnung mache es zudem "autoritären Regimen", wie sie etwa in Polen und Ungarn an der Macht seien, einfach, "ihre Kritiker im Ausland zum Schweigen zu bringen". Auch mehrere UN-Sonderberichterstatter sowie die EU-Agentur für Grundrechte sahen in früheren Entwürfen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.

Die Löschanordnungen können sich auch gegen Diensteanbieter wie Amazon, Facebook, Google mit YouTube, TikTok oder Twitter richten, die ihren Hauptsitz nicht in der EU haben. Betreiber von Online-Foren, auf denen Nutzer Kommentare hinterlassen oder Inhalte hochladen dürfen, sind ebenfalls erfasst. Das Land, in dem der Host-Provider sitzt, soll ausländische Löschersuchen prüfen und sie binnen 24 Stunden bestätigen. Erfolgt keine Freigabe, muss der Betreiber den Zugang zu den gemeldeten Inhalten nur in dem Staat blockieren, der den Antrag gestellt hat.

Kleine und mittlere Unternehmen sollen Terrorpropaganda ohne strikte Zeitvorgabe "sobald wie möglich" löschen, wenn sie für eine solche Ausnahme betriebliche Gründe nachweisen können. Anordnungen dürfen sich nicht auf journalistische und künstlerische Inhalte sowie polemische und satirische Meinungsäußerungen beziehen.

(axk)