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Eiserner Besen

Kiews Staatssicherheit greift brutal gegen Oppositionelle durch, aber nur ein dubioser Blogger schreibt darüber.
Von Wolfgang Koydl Weltwoche - 21.04.2022
22. April 2022
Gonzalo Lira ist wohl nicht das, was man als seriöse Quelle bezeichnen kann. Der US-Bürger chilenischer Herkunft lebte seit Jahren im ostukrainischen Charkiw, wo er in einem Blog die Ungerechtigkeit des Feminismus gegenüber Männern beklagte. Aus unerklärlichen Gründen wechselte er mit der russischen Invasion das Thema und schrieb über den Krieg  – aus der Warte Moskaus.

Freunde machte er sich damit nicht, schon gar nicht in der woken Community in den USA, der er schon als Männer-Blogger ein Dorn im Auge war. Aber auch nicht bei den ukrainischen Behörden. Deshalb wächst die Sorge über Lira: Denn seit dem 26. März ist er spurlos verschwunden. Kein Tweet, keine Sichtung, und auch einen Auftritt in einer Talkshow liess er verstreichen.

Hinweise gibt vielleicht ein Tweet, den Lira vor seinem Verschwinden absetzte: «Ihr wollt die Wahrheit über das Selenskyj-Regime», schrieb er. «Googelt diese Namen.» Es folgen die Namen von sieben Männern und einer Frau, die eines gemeinsam haben: Sie sind ukrainische Oppositionspolitiker, die seit Kriegsbeginn auf mysteriöse Weise ums Leben kamen oder verhaftet und verschleppt wurden. Offensichtlich befürchtete Lira dasselbe Schicksal: «Wenn ihr in den nächsten zwölf Stunden nichts von mir hört, nehmt meinen Namen mit auf diese Liste.»

«Agent» erschossen?

Auch wenn nichts über Liras Verbleib bekannt ist, so gibt es doch keine Geheimnisse um die von ihm genannten Personen. Nur, dass ausser ihm niemand auf ihr Schicksal hinwies. Kleinere Wellen schlug nur der Fall von Denys Kirjejew. Er gehörte Kiews Delegation bei den ersten Gesprächen mit Russland an. Der 44-Jährige war offenbar ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter, der direkten Zugang zu den Chefs des zivilen wie des militärischen Dienstes der Ukraine hatte. Doch wenige Tage nach der ersten Verhandlungsrunde wurde gemeldet, dass er als «Agent» Moskaus erschossen worden sei.

«Ihr wollt die Wahrheit über das Selenskyj-Regime», schrieb er. «Googelt diese Namen.»

Dasselbe Schicksal erlitt Wolodymyr Struk, ein führendes Mitglied der «Oppositionsplattform für das Leben», der zweitstärksten Partei im ukrainischen Parlament. Er vertrat die Rechte der russischen Bevölkerungsgruppe im Parlament und war populärer Bürgermeister der Kleinstadt Kreminna. Am 2. März wurde er erschossen aufgefunden   – abgeurteilt von einem «Volkstribunal» und gerichtet von «unbekannten Patrioten», wie ein Sprecher mitteilte. Der Vorwurf: Struk habe mit Russland «kommuniziert».

Im Visier des Sicherheitsdiensts

Am 10. März drangen bewaffnete Männer des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU in die Wohnung des siebzigjährigen Journalisten Jan Taksjur ein und nahmen ihn ohne Angabe von Gründen fest. Taksjur schreibt für Publikationen der orthodoxen Kirche. Seine Frau und seine Kinder wissen nicht, wo man ihn festhält und sorgen sich um seine Gesundheit. Inzwischen haben sie erfahren, dass man ihm Hochverrat vorwirft   – ohne nähere Angaben.

Ebenfalls zur «Oppositionsplattform für das Leben» gehört Nestor Schufrytsch. Er war schon länger im Visier des SBU und wurde Anfang März festgenommen, weil er angeblich versucht habe, eine Strassensperre zu fotografieren. Dasselbe Schicksal widerfuhr dem Journalisten Dmitrij Dschangirow und der Menschenrechtsaktivistin Elena Bereschnaja. Über den Verbleib dieser Personen ist nichts bekannt.

Das trifft auch auf die beiden jungen Brüder Michail und Aleksandr Kononowitsch zu, führende Mitglieder des Komsomol, der Jugendorganisation der verbotenen ukrainischen kommunistischen Partei. Ihnen wird «Propaganda» und «Destabilisierung der innenpolitischen Lage» vorgeworfen. Ihr Vergehen: Vor dem Krieg hatten sie vor der US-Botschaft in Kiew gegen eine weitere Ausdehnung der Nato demonstriert. Der kommunistische Weltjugendverband befürchtet, dass sie in der Haft ermordet werden.

SBU-Chef ist Selenskyjs Freund

Treibende Kraft dieser Säuberungen im Oppositionsmilieu ist der gefürchtete SBU, der Sicherheitsdienst der Ukraine. Wie sein russisches Pendant, der FSB, war auch er aus der Erbmasse des sowjetischen KGB hervorgegangen   – oft mit demselben Personal und denselben Methoden. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten während des achtjährigen Krieges gegen die russische Bevölkerung im Donbass zahlreiche Grausamkeiten von SBU-Angehörigen.

Seit zwei Jahren wird der Dienst von Iwan Bakanow geleitet. Er ist einer der ältesten und engsten Freunde von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Die beiden wuchsen im selben Haus auf und gingen auf dieselbe Schule. Später leitete Bakanow die Produktionsgesellschaft Kvartal 95, die Selenskyjs erfolgreiche TV-Serie «Diener des Volkes» produzierte.

23 Kommentare zu “Eiserner Besen”

  • elle mo

21. April 2022 um 17:32 Uhr

In der Ukraine ist die Regierung davon ausgegangen, dass die USA/ NATO natürlich eingreifen wird, denn von der USA wurden sie doch zu dem Zwecke finanziert, bewaffnet und ausgebildet. Das hat sich die USA mit 5 Mrd ordentlich was kosten lassen! Auch die EU, als Marionette der USA, finanzierte diesen korrupten Staat schon seit Jahren. Hat diese ukrainische Regierungsspitze da nicht einen Packt mit dem Teufel geschlossen? Die Bewohner der Ukraine scheinen nicht so wichtig zu sein. Erbärmlich!

Quelle: https://weltwoche.ch/story/eiserner-besen/
Mit freundlicher Genehmigung der Welwoche-Redaktion

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