Die Verwirrung war groß – und die Bewunderung über Ukraines digitale Lernportale noch größer. Auf Twitter hieß es, die Ukraine habe binnen zwei Wochen eine funktionierende Onlineschule auf den Weg gebracht. Manche behaupteten gar, es habe nur 24 Stunden gedauert. Das ist falsch. Richtig ist, dass es eine Onlineschule für die Klassen fünf bis elf gibt, die aus Lernressourcen und Videomaterial besteht. Zudem existiert eine Sammlung von über 1.200 digitalen Schulbüchern – die sofort online verfügbar sind. Damit ist die Ukraine der Bundesrepublik in der digitalen Bildung um einiges voraus. Richtig ist aber auch: Ohne die Hilfe deutscher digitaler Stellen sind diese Ressourcen nicht rechtssicher nutzbar. Deswegen hat das Medieninstitut der Bundesländer jetzt die Ressourcen zum Teil gesichert, zum Teil bemüht es sich um rechtliche Klärung.

Digitales Lernportal 1: die Onlineschule

Am interessantesten ist die sogenannte Onlineschule, mit der ukrainische Lernende der Klassen fünf bis elf digitales Fernlernen praktizieren können. Das war jene Einrichtung, die die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Karin Prien (CDU) meinte, als sie über Unterricht für geflüchtete Kinder berichtete. Da hieß es, das ukrainische Portal kooperiere mit einer deutschen Stiftung, um die Onlineschule in Deutschland in Gang zu bringen. Nach Informationen von Bildung.Table ist die Bosch-Stiftung aber wohl nicht in der Lage, diesen Betrieb zu gewährleisten. Vielmehr kümmert sich dem Vernehmen nach das Medieninstitut der Länder, FWU, darum. Ein Sprecher sagte Bildung.Table, es gehe zunächst darum, die verwendete Technologie der Onlineschule zu prüfen. Zudem sei es nötig, die Ressourcen auf sichere Server zu verlagern. Es sei auch eine Vereinbarung mit dem privaten ukrainischen Institut zu treffen, das das Lernportal entwickelt hat.

Die Onlineschule besteht aus digitalen Schulbüchern, Lehrvideos und Aufgaben. "Die Kinder können die Plattform nutzen, um während der Quarantänezeit zu lernen oder sich mit einem Thema vertraut zu machen, das sie in der Schule aufgrund von Krankheit oder aus anderen Gründen verpasst haben." So steht es auf der Seite. Allerdings ist das Portal nicht über Nacht und auch nicht seit Kriegsbeginn entstanden. Vielmehr ist es – ähnlich wie in Deutschland – eine Notgründung aus Zeiten der Pandemie. Ende 2020 gilt als Startpunkt für die Onlineschule. Diese digitale Plattform ist auch keine reine Eigengründung der Ukraine. Das dortige Ministerium für digitale Transformation und das Bildungsministerium haben den Auftrag gegeben. Die Ukraine kooperierte dann aber mit der Pädagogischen Hochschule Zürich. Der Beginn der Kooperation liegt zehn Jahre zurück. Anfänglich ging es um die Vorläufer für das Demokratieprojekt "Decentralization for Improved Democratic Education".

Welcher potente Anbieter kooperiert mit der Onlineschule?

Eine mögliche Anwendung der Onlineschule könnte darin – so heißt es im Hintergrund – den jetzigen Betreiber aus der Ukraine über eine Kooperationsvereinbarung mit einem technisch kompetenten Anbieter in Deutschland zu verknüpfen. Dann würde das ukrainische Institut Lizenzgebühren aus Deutschland erhalten – die sinnvollerweise von der Bundesbildungsministerin oder von den Kultusministerinnen und -ministern der Länder bezahlt werden.

Damit wären alle Seiten zufrieden gestellt: Die ukrainischen Lernenden könnten schnell auf Lernressourcen zurückgreifen, vor allem, wenn es um Lernende in Abschlussklassen geht. Ein technologisch potenter Partner in Deutschland könnte eine gute Performance garantieren. Und die Lehrerinnen und Lehrer hätten einen rechtssicheren Zugriff auf die Plattform. Allerdings können nach Deutschland geflüchtete ukrainischer Schüler und Schülerinnen nicht nur auf Ukrainisch unterrichtet werden. Sie müssen auch Deutsch lernen und in das hiesige Schulsystem integriert werden. Denn ob sie jemals in die Ukraine zurückkehren können – das steht in den Sternen.

Digitales Lernportal 2: Schulbuchmediathek

Nicht mit der Onlineschule zu verwechseln ist die ukrainische digitale Schulbuchmediathek. In Deutschland haben gleich zwei Institutionen diese digitalen Schulbücher – es sind insgesamt über 1.200 Lehrwerke – verfügbar gemacht. Zum einen das Medieninstitut der Länder, FWU, das alle PDFs mit seinem Webcrawler Sodix gesichert hat. Ein Sprecher sagte, die FWU sei bereits dabei, die Materialien mit Metadaten zu versehen und rechtssichere Lizenzen zu organisieren. Zum anderen hat aber auch das Bildungsministerium in Sachsen die digitalen Lernwerke gesichert. Es macht sie über die Mediathek MeSax verfügbar. "Das haben die ukrainischen Schulbehörden gut gemacht", lobte ein Referent des Ministeriums in Sachsen gegenüber der Plattform Neue Lausitz. "Diese Bücher sind digital leicht zu nutzen. Ich blättere gerade in einem der PDFs."

Von den offen zugänglichen digitalen Lernmaterialien erfuhr Bildungsminister Christian Piwarz (CDU) von Ukrainerinnen aus Sachsen. Bei einem Treffen mit einem Ex-Schulleiter aus der Ukraine und einer Lehrerin, die inzwischen Ukrainisch in Dresden lehrt, machte sich Piwarz Gedanken über das Lernen der Flüchtlingskinder. Die Lehrerin gab dabei den Hinweis, dass alle Lernmaterialien in der Ukraine digital verfügbar sind. Der Minister ließ daraufhin die Lernmaterialien speichern und zunächst über einen ukrainischen Link bereitstellen. 

Die schnelle Verfügbarkeit digitaler pädagogischer Ressourcen könnte die Debatte über digitale Bildung in Deutschland durchaus anheizen. Hierzulande ist bislang nämlich nur ein Bruchteil der Schulbücher digital zu haben.

Dieser Beitrag wurde übernommen aus dem Bildung.Table Professional Briefing vom 16. März 2022.