Politik

"Versteckte Kürzung bei Ärmsten" Gutachten: Hartz-IV-Pläne verfassungswidrig

Laut Gutachten läutet der Plan "neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums" ein.

Laut Gutachten läutet der Plan "neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums" ein.

(Foto: picture alliance / Fotostand)

Lebenskosten und Inflation sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht, gleichzeitig fällt eine Anhebung von Hartz IV für 2022 fast aus. Verbände fordern schon lange, dieses Missverhältnis auszugleichen. Ein Rechtsgutachten kommt nun zu dem Schluss, die geringe Erhöhung sei gar verfassungswidrig.

Nach einem vom Paritätischen Gesamtverband in Auftrag gegebenen Gutachten verstößt die geringe Anhebung der Hartz-IV-Sätze zum Jahreswechsel gegen das Grundgesetz. Die Verfassung verpflichte den Gesetzgeber, die absehbare Kaufkraftminderung für Grundsicherungsbeziehende abzuwenden, heißt es in der am heutigen Freitag von dem Verband publizierten Expertise. Der Bundesrat will heute abschließend über die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um drei Euro befinden.

Das Gutachten wurde von der Rechtswissenschaftlerin Anne Lenze erstellt. In ihm wird den Angaben zufolge auf zurückliegende einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, denen zufolge die Regelbedarfe bereits an der untersten Grenze dessen liegen, was verfassungsrechtlich gefordert ist. Die niedrige Anpassung der Sätze zum Januar in Verbindung mit der anziehenden Inflation läute nun eine "neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums" ein, heißt es. Sollte der Gesetzgeber nicht aktiv werden, um die absehbaren Kaufkraftverluste abzuwenden, verstoße er damit gegen die Verfassung, so das Fazit der Rechtswissenschaftlerin.

Der Paritätische Gesamtverband hatte bereits im April kritisiert, dass durch den aktuellen Fortschreibungsmechanismus der Regelsätze für Grundsicherungsbezieher reale Kaufkraftverluste drohen könnten. Für Fachleute sei es seit Monaten absehbar gewesen, dass nach den geltenden Regeln 2022 eine Null-Runde drohe, während sich die Preise für die Lebenshaltung bereits aktuell spürbar verteuerten, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider."Der Vorgang ist nicht nur für die betroffenen Menschen hart und folgenschwer - er unterläuft darüber hinaus grundsätzlich den sozialstaatlichen Grundauftrag, das menschenwürdige Existenzminimum sicherzustellen", erklärte Schneider.

"Es braucht eine rote Linie"

Ein breites Bündnis aus Sozialverbänden richtet sich mit einem Appell an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD. "Es braucht eine rote Linie bei existenzsichernden Leistungen wie Hartz IV. Preissteigerungen müssen immer und zeitnah mindestens ausgeglichen werden", heißt es in dem Aufruf. "Es gilt umgehend zu handeln, um die versteckten Kürzungen bei den Ärmsten in unserer Gesellschaft zu stoppen."

Ulrich Schneider, Paritätischer Gesamtverband

Uns ist bewusst, dass es nicht den Gepflogenheiten entspricht. Doch dürfte der Verfassungsauftrag in diesem Falle schwerer wiegen als die Gepflogenheit.

Der Bund dürfe auch wegen der ausstehende Regierungsbildung nicht untätig bleiben, erklärte Schneider. "Uns ist bewusst, dass es nicht den Gepflogenheiten entspricht, wenn eine amtierende Regierung zwischen Wahlen und Neukonstituierung in dieser Form tätig wird", sagte er. "Doch dürfte der Verfassungsauftrag in diesem Falle schwerer wiegen als die Gepflogenheit."

Laut der neuen Verordnung steigt der Regelsatz für alleinstehende Erwachsende zum Jahreswechsel um drei Euro auf 449 Euro. Der Regelsatz für Jugendliche ab 14 Jahren steigt ebenfalls um drei Euro auf 376 Euro. Ehegatten und Partner erhalten künftig 404 Euro, Erwachsene unter 25 Jahren ohne eigenen Haushalt 360 Euro. Auch hier liegt das Plus bei jeweils drei Euro im Monat. Zudem beträgt der Regelsatz für Kinder bis fünf Jahre statt wie bisher 283 Euro im neuen Jahr 285 Euro pro Monat. Für die Sechs- bis 13-Jährigen erhöht sich der Satz ebenfalls um zwei Euro auf 311 Euro.

Quelle: ntv.de, mra/AFP

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