Denkanstöße, Argumente und Forderungen zur Modernisierung der Cloud-Infrastruktur der Bundesverwaltung

Die Firma Microsoft hat gegenüber der Bundesverwaltung deutlich gemacht, dass ab dem Jahr 2025 keine Möglichkeit zur Nutzung wesentlicher, für die öffentliche Verwaltung heute zentraler Softwareprodukte des Unternehmens mehr besteht. Dazu gehören Produkte wie Microsoft Office, Sharepoint oder Exchange. An Stelle dessen soll nur noch entsprechende Cloud-Software genutzt werden können. Das unterstreicht das hohe Maß der Abhängigkeit von diesem Hersteller und betrifft rund 300.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Bundesbereich und eine weitaus größere Zahl im Bereich der Landes- und Kommunalverwaltungen, die dann zukünftig mit Cloud-basierter Microsoft-Software arbeiten sollen. Vor diesem Hintergrund müssen Alternativen geprüft und eine Strategie entwickelt werden, welche die heute schon als Schmerzpunkte identifizierten, weitreichenden Abhängigkeiten der Verwaltung von Microsoft nicht weiter verstärkt. Vielmehr müssen die selbst gesteckten Ziele des Bundes in Richtung digitaler Souveränität unterstützt und Grundlagen für eine schnelle und moderne Digitalisierung der Verwaltung gelegt werden.

Ein großflächiger Wechsel zu den Cloud-Diensten von Microsoft widerspräche auch den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung und der EU, wie sie beispielsweise noch im Dezember 2020 in der Berliner Erklärung der EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet wurden. Hier wurde festgestellt, dass digitale Souveränität Grundlage für selbstbestimmtes Handeln und informierte Entscheidungen durch Bürger und Verwaltungen ist und es „gemeinsamer Standards, modularer Architekturen und der Nutzung von Open Source Software“ bedarf, um dies zu erreichen. Dasselbe gilt für die im November 2020 verabschiedete Deutsche Verwaltungscloud-Strategie des IT-Planungsrates, welche die Reduktion von Abhängigkeiten als wesentliches Ziel benennt.

Digitale Souveränität erfordert neben Herstellerunabhängigkeit auch Sicherheit, Transparenz und DSGVO-Konformität (Stichwort Cloud Act) sowie die Fähigkeit zur aktiven Gestaltung durch die Verwaltung selbst und durch eine starke deutsche und europäische Digitalindustrie. Die in der Berliner Erklärung außerdem geforderte Stärkung von Resilienz und Nachhaltigkeit erfordern die Fähigkeit, Code selbst überprüfen (und überprüfen lassen) zu können, so dass sich etwa Sicherheitsprobleme auch unabhängig von Herstellern finden und beheben lassen. Resilienz und Nachhaltigkeit erfordern es aber auch, Anpassungen der Infrastruktur für neue Herausforderungen nach eigenen Wünschen erstellen oder beauftragen zu können. Das eröffnet durch die Möglichkeit deutlich flexibler und eigenständiger agieren zu können neue Handlungsoptionen für die Verwaltung – mit zugleich großem Nutzen für den deutschen und europäischen Wirtschaftsraum.

Digitalisierung und Digitale Souveränität müssen Hand in Hand gehen

Der nun vorhandenen Erkenntnis des Bestehens und der Gefahren digitaler Abhängigkeit und den richtigen Beschlüssen für mehr digitale Souveränität müssen jetzt Taten und ein langfristig zukunftsfähiges Modell für die IT der öffentlichen Verwaltung folgen. Es geht darum, die IT für die vielfältigen Herausforderungen in der Verwaltung nutzbar zu machen. Dafür müssen wir souverän handlungsfähig werden und dürfen Abhängigkeiten von Einzelanbietern nicht weiter verfestigen. Der Schlüssel zu Handlungsfähigkeit ist der strategische Einsatz von Open Source Software. Denn nur mit unabhängig überprüfbarem Quellcode können vertrauensvolle Kommunikation sichergestellt und nicht legitimierte Zugriffe auf Daten weitestgehend ausgeschlossen werden. Nur mit unabhängig veränderbarem Code können Programme jederzeit so angepasst werden, wie es die eigenen Bedürfnisse erfordern. Und nur so ist die freie Wahl zukünftig genutzter Software und entsprechender Anbieter möglich. Aus diesen Gründen setzen auch immer mehr Unternehmen, allen voran IT-Unternehmen und Cloud-Anbieter, auf Open Source Software.

Lenkende Einkaufsmacht Staat nutzen

Der Staat hat jetzt die Chance, von seiner Einkaufsstärke klug Gebrauch zu machen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Investitionen in Open Source Software ein Ökosystem innovativer Unternehmen wachsen lassen, welches nicht nur dem Staat, sondern der gesamten Gesellschaft nutzt. Das Resultat sind allgemein verfügbare digitale Güter, die auch von der Wirtschaft direkt eingesetzt werden können, um damit erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle sowie moderne IT-Arbeitsplätze in Europa zu schaffen.

Offene Vergabeverfahren durchführen

Zu nahezu allen proprietären Angeboten gibt es bereits seit vielen Jahren erfolgreiche Alternativen, die auch für die Verwaltung wettbewerbsfähig angeboten und rechtzeitig bis zum Auslaufen der aktuellen Microsoft-Produkte als leistungsfähige Gesamtlösung bereitgestellt werden können. Der Staat sollte den Ausbau dieser Alternativen unterstützen, so dass es zu einem „Wettbewerb der Lösungen“ kommen kann, statt bestehende Abhängigkeiten durch direkte Verhandlungen mit Einzelunternehmen, zu denen bereits eine massive Abhängigkeit besteht, weiter zu zementieren. Es sollten also offene, produkt- und anbieterneutrale Vergabeverfahren durchgeführt werden, bei denen die Wirtschaftlichkeit über den gesamten Lebenszyklus einschließlich der möglichen Ablösung von Software oder Anbieter betrachtet (siehe „Nachhaltiger Open Source Einsatz für die digital souveräne Verwaltung“) wird. Gleichzeitig muss öffentlich finanzierter Code auch öffentlich bereit gestellt werden und es muss auf die Einhaltung der vom BSI definierten „roten Linien“ bestanden werden, bevor ein Zuschlag erteilt oder mit der Realisierung begonnen wird.

Gaia-X und Open Source – Offene Standards und offenen Code nutzen!

Initiativen wie Gaia-X, der mit Mitteln des Bundes geförderte „Sovereign Cloud Stack“ (SCS) oder das Projekt „Phoenix“, mit dem der Dienstleister Dataport eine moderne Bürosoftware für die öffentliche Verwaltung erstellt, setzen diesen Einsichten und Zielen folgend auf Open Source Software. Die Nutzung solcher Standards und ein Erfolg dieser Initiativen wird die Leistungs- und Gestaltungsfähigkeit der europäischen Digitalwirtschaft erhöhen: Gemäß den auf dem EU-Policy Summit des Open Forum Europe kommunizierten Vorabergebnissen einer Studie des Fraunhofer ISI liegt ein äußerst positives Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen Investitionen in Open Source und Wirkung auf das europäische Bruttoinlandsprodukt vor.

Wir empfehlen, insbesondere die bereits laufenden Initiativen der öffentlichen Hand mit Nachdruck zu unterstützen, durch Einrichtungen wie das geplante Zentrum für digitale Souveränität zu koordinieren und mit weiteren, ergänzenden Initiativen auszubauen. Dann werden öffentliche Institutionen zukünftig zwischen unterschiedlichen Anbietern wählen können und selbst als erste von einer leistungsfähigen europäischen Digitalindustrie profitieren können.

Peter H. Ganten
Vorsitzender des Vorstands der OSB Alliance — Bundesverband für digitale Souveränität e.V.