Wikileaks: Journalisten fordern sofortige Freilassung von Julian Assange

Kanzler und Außenministerin sollen sich für den inhaftierten Assange einsetzen, fordern Medienvertreter. Die Auslieferung an die USA müsse gestoppt werden.

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(Bild: Londisland/Shutterstock.com)

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Zahlreiche Medienvertreter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich erstmals gemeinsam dafür stark gemacht, Julian Assange sofort aus seiner britischen Haft freizulassen. Der Gründer der Whistleblower-Plattform Wikileaks dürfe nicht an die USA ausgeliefert werden, betonten Vertreter von Reporter ohne Grenzen Deutschland (RoG), des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), der Deutschen Journalisten-Union (dju) von Verdi, des Österreichischen Journalisten-Clubs und des Club Suisse de la Presse am Montag in Berlin.

Die neue Bundesregierung müsse vom Kurs ihrer schwarz-roten Vorgänger abrücken und sich für Assange einsetzen, betonten die Medienvertreter. Vor allem grüne Regierungsmitglieder, die bereits Aufforderungen zur Freilassung des Hackers unterzeichnet hatten, müssten sich nun "eindeutiger und klarer positionieren als die vorherige Bundesregierung", verlangte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr und bedauerte, bei der neuen Regierung offenbar "leider wieder bei null anfangen" zu müssen.

Die neue Chefin des Auswärtigen Amtes, Annalena Baerbock (Grüne), habe es bislang versäumt, bei Assange dem Anspruch ihrer "wertebasierten Außenpolitik" gerecht zu werden. Mihr nahm auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) direkt in die Pflicht, bei seinen Gesprächen nächste Woche in Washington mit US-Präsident Joe Biden auf die Einstellung des Auslieferungsgesuchs der dortigen Regierung zu drängen und "für die Pressefreiheit weltweit" einzutreten. Es sei die einzige realistische Hoffnung für Assange, dass die USA das Verfahren einstellen.

Der britische High Court entschied vorige Woche, dass der gebürtige Australier im Verfahren um seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten das höchste britische Gericht anrufen kann. Seine Anwälte müssen dafür aber erst einen Antrag auf Zulassung stellen, über den der Supreme Court dann entscheidet. Das Auslieferungsverfahren zieht sich damit weiter in die Länge. Die US-Justiz will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Ihm drohen dort bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft.

Assanges Teilerfolg vor Gericht sei "kein Grund zur Freude und Erleichterung", betonte Mihr. Der Supreme Court müsse den Fall nicht annehmen, dann liege die Entscheidung bei der britischen Innenministerin Priti Patel. Assange werde so noch viele Monate, wenn nicht sogar Jahre zu Unrecht in Haft verbringen müssen. Dabei habe Großbritannien schon bei der Verfahrensbeobachtung eklatant rechtsstaatliche Grundsätze verletzt. Es handle sich um einen Versuch, den prominenten Gefangenen mürbe zu machen. Die Umstände seien "nicht akzeptabel".

Assange sitzt seit mehr als zwei Jahren im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Haft. Berichten zufolge hatte der mittlerweile 50-Jährige im Gefängnis einen Schlaganfall erlitten. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hat Spuren psychologischer Misshandlungen erkannt. Er erhob voriges Jahr bereits schwere Vorwürfe auch gegen die Bundesregierung.

Es gehe den USA und Großbritannien gar nicht so sehr um eine Verurteilung, sondern um "die Bestrafung schon durch den Prozess", meinte Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson. Assange werde nun "zwanzig Jahre von einem Verhandlungsraum zum nächsten gezerrt", um ihn zu brechen. Jedem Laien sei verständlich, dass er in den USA nicht angemessen behandelt und geschützt würde: "Er ist ein politischer Gefangener."

Als "Schande für die Pressefreiheit und insgesamt für die Menschenrechte" bezeichnete der DJV-Vorsitzende Frank Überall das Vorgehen Großbritanniens und der USA. Die Rechtsstaatlichkeit werde mit Füßen getreten. Dies sei ein "verheerendes Signal an Whistleblower, aber auch an Journalisten". Assange habe "wichtige Informationen veröffentlicht". Er verdiene "keine Strafe, sondern Solidarität, Dankbarkeit und Schutz". Ohne valide Informationen von Insidern "können wir in weiten Teilen unser notwendiges investigatives Geschäft nicht mehr machen".

Derzeit ereigneten sich "zahlreiche Angriffe auf die freie und unabhängige Berichterstattung", ergänzte dju-Geschäftsführerin Monique Hofmann. Dazu gehörten "strategische Einschüchterungsklagen". Der "völlig maßlose Angriff auf die Pressefreiheit" müsse aufhören, betonte auch Günter Bartsch vom Netzwerk Recherche. Große Mengen an Daten würden für die Berichterstattung und internationale investigative Kooperationen immer wichtiger. Die US-Regierung habe den Bürgern zudem nicht die Wahrheit über den Krieg gesagt, was Wikileaks klar gemacht habe.

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff bezeichnete Assange neben dem Putin-Kritiker Alexej Nawalny als "die wichtigsten politischen Gefangen dieser Zeit". Sie hätten Staatsverbrechen öffentlich gemacht und sollten gemeinsam für den Friedensnobelpreis vorschlagen werden. Der "Tod auf Raten" des Wikileaks-Gründers müsse gestoppt werden. Geheimdienste hätten den "Märtyrer der Aufklärung" ("Süddeutsche Zeitung") als "Monster fabriziert". Wallraff hatte bereits vor zwei Jahren eine Initiative für Assange gestartet.

Die Medienvertreter sollten gemeinsam beim Europarat und EU-Parlament vorstellig werden, da auch dort Beschlüsse zur Pressefreiheit und Whistleblower-Schutz nicht umgesetzt würden, schlug Fred Turnheim vom österreichischen Journalisten-Club vor. Es gelte, dem ganzem Theater ein Ende zu bereiten. Sein Schweizer Kollege Pierre Ruetschi erinnerte an den Genfer Appell für die sofortige Assange-Freilassung vom Sommer. Nur der Druck von Medien und Bürgern könne die britische Regierung zu einem solchen Schritt zwingen.

(vbr)