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Erste Innenministerin: Nancy Faeser

9. Dezember 2021

Die Sozialdemokratin gilt als die Überraschung im Team vom neuen Kanzler Scholz. Ganz oben auf ihrer Agenda: der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

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Nancy Faeser, zukünftige Ministerin für Inneres und Heimat
Nancy Faeser bei ihrer Vorstellung als künftige Ministerin am 6. Dezember in BerlinBild: Hannibal Hanschke/REUTERS

Da, wo sie herkommt, gibt es viele Feinde einer offenen, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft. Nancy Faeser, die neue deutsche Innenministerin, stammt aus Hessen. Dieses Bundesland geriet in der jüngeren Vergangenheit immer wieder wegen rechtsextremistischer Attentate in die Schlagzeilen. Das folgenschwerste geschah im Februar 2020 in Hanau, als ein Rassist neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss.

Zuständig für den Verfassungsschutz und die Polizei

Im Juni 2019 ermordete ein Neonazi den christdemokratischen Politiker Walter Lübcke, weil der sich für Flüchtlinge engagierte. Und 2006 war Halit Yozgat das neunte von zehn Opfern der Terror-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Mit all diesen schrecklichen Verbrechen hat Nancy Faeser immer wieder zu tun gehabt – als Abgeordnete im Hessischen Landtag. Und damit wird sie sich auch in ihrem neuen Job in Berlin beschäftigen müssen. 

Familie Gültekin nach den Morden von Hanau

Denn als Innenministerin ist sie für die Sicherheit in Deutschland zuständig. Ihr unterstehen so wichtige Behörden wie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei. Welchen Stellenwert die Verteidigung der Demokratie für sie hat, betonte die erste Frau in diesem Amt im März 2021, als der Hessische Landtag über Konsequenzen aus dem ein Jahr zurückliegenden Massaker in Hanau debattierte. "Der Kampf gegen Rechtsextremismus hat mich persönlich in die Politik geführt", begann Nancy Faser ihre zehnminütige Rede.

Bedrohliche Post von einem Absender, der sich "NSU 2.0" nennt

Dabei rief sie die Namen berühmter Sozialdemokraten in Erinnerung, die gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus gekämpft haben: Otto Wels, Kurt Schumacher und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Außerdem erwähnte Nancy Faeser zwei wegweisende Politikerinnen ihrer Partei: Marie Juchacz, die 1919, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) war. Und Elisabeth Selbert, eine von vier sogenannten Müttern des Grundgesetzes, also der deutschen Verfassung. Die wurde 1948/49 vom Parlamentarischen Rat, dem sonst nur Männer angehörten, erarbeitet.

Nancy Faeser sieht sich also in der Tradition von Antifaschisten und Frauenrechtlerinnen. Was es bedeuten kann, sich gegen Rechtsextremismus und für Gleichberechtigung einzusetzen, hat die verheiratete Mutter eines Sohnes auf perfide Weise selbst erfahren: als Empfängerin eines Droh-Briefes mit dem Absender "NSU 2.0". Eine Anspielung auf die Terror-Gruppe um die inzwischen zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilte Beate Zschäpe.

Im Zwielicht: Hessens Polizei und Verfassungsschutz

Solche einschüchternden Nachrichten bis hin zu Morddrohungen haben auch andere Politikerinnen erhalten. Und die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz, die im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht die Familie des ersten Mordopfers Enver Simşek als Nebenklägerin vertrat. Die vertraulichen Daten der Anwältin waren von einem Polizei-Computer in Hessen abgerufen worden. Ein Skandal, bei dem noch immer Fragen offen sind. War es Absicht? Oder Fahrlässigkeit? Das wüsste auch Nancy Faeser gerne.

Nancy Faeser | künftige Innenministerin Deutschland
Nancy Faeser (l.) und die SPD-Politikerin Serpil Midyatli bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Attentats in HanauBild: Patrick Scheiber/imago images

Im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags versuchte sie herauszubekommen, unter welchen Umständen Halit Yozgat von den Rechtsterroristen in seinem Internet-Café am 6.April 2006 erschossen wurde. Denn zur Tatzeit war nachweislich ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) am Ort des Geschehens gewesen. Ob er in den Fall verwickelt war, könnte vielleicht durch die Öffnung von Akten geklärt werden. Doch die bleiben nach dem Willen der Landesregierung aus Christdemokraten (CDU) und Grünen unter Verschluss.

Linken-Chefin Janine Wissler lobt ihre frühere Weggefährtin

Daran konnte auch Nancy Faeser als damalige Fraktionsvorsitzende der oppositionellen SPD nichts ändern. Aus dieser Zeit kennt auch die Parteichefin der Linken, Janine Wissler, die neue deutsche Innenministerin. Beide sind aus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden nach Berlin gewechselt. Im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus haben die beiden Politikerinnen in Hessen viele Jahre an einem Strang gezogen.

DW Interview BTW Janine Wissler Die Linke
Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler kennt Innenministerin Nancy Faeser aus gemeinsamen Zeiten in HessenBild: R. Oberhammer/DW

"Mit Nancy Faeser habe ich in Hessen gut zusammengearbeitet, insbesondere im NSU-Untersuchungsausschuss", teilte Janine Wissler auf DW-Anfrage mit. Sie sei eine engagierte Mitstreiterin im Kampf gegen rechte Gewalt und Bedrohungen wie den "NSU 2.0" gewesen und im persönlichen Umgang angenehm und verlässlich. "Menschlich haben wir ein gutes Verhältnis, im Wissen um unsere politischen Differenzen." 

Von der Oppositionsbank in Wiesbaden auf die Regierungsbank in Berlin

Viel Lob also für die Neue im Innenministerium. Eine Schonfrist wird es für Nancy Faeser aber nicht geben. Als Oppositionsführerin in Hessen war sie es, die der schwarz-grünen Landesregierung immer wieder gravierende Versäumnisse im Kampf gegen Rechtsextremismus vorwarf. Nun sind die Rollenverhältnisse umgekehrt – und das auch noch auf Bundesebene, wo man viel stärker im Fokus der deutschen und internationalen Öffentlichkeit steht.

Als Innenministerin ist Nancy Faser in das eingebunden, was man Kabinettsdisziplin nennt. Dabei hat sie es mit einem Bundeskanzler Olaf Scholz aus ihren Reihen zu tun – und zwei Koalitionsparteien, die im Gegensatz zur SPD lange in der Opposition waren: Grüne und Freie Demokraten (FDP). Beide verbindet bei allen programmatischen Unterschieden vor allem eines: ihr Engagement für Bürger- und Freiheitsrechte. So lehnen sie, anders als die SPD, die höchst umstrittene Vorratsdatenspeicherung ab.

Auch die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur Überwachung der Telekommunikation haben sie von vornherein für grundgesetzwidrig gehalten – und wurden vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Kurzum: In Fragen der Sicherheitspolitik tickt die neue Bundesregierung keinesfalls einheitlich. Für Nancy Faeser wird das eine neue Erfahrung sein. Denn als deutsche Innenministerin geht es um größere Zusammenhänge der nationalen und internationalen Sicherheitsarchitektur als in einem Bundesland wie Hessen.