Reaktionen zur "Great Firewall", made in the USA

Die USA wollen ein "sauberes Netz" ohne chinesische Produkte und Dienste. Experten sind skeptisch bis schockiert – sie sehen den Kern des Internets bedroht.

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Reaktionen zur "Great Firewall", made in the USA

(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
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US-Außenminister Mike Pompeo hatte eine Initiative für ein „sauberes“ Internet in den USA angekündigt – die Reaktionen von Internetexperten sind skeptisch bis schockiert. Die ehemalige Cybersecurity Expertin des Weißen Hauses, Melissa Hathaway, nennt die möglichen Folgen des „Clean Network“-Programms der Trump-Administration weitreichend, „wenn sie implementiert werden können.“ Die Durchsetzung des vom US-Präsidenten verfügten TikTok und We-Chat-Banns steht nach Ansicht von Hathaway auf tönernen Füßen.

Verschiedene Vertreter technischer Gremien nannten die in der vergangenen Woche von Pompeo verkündete "Clean Network"-Initiative einen Angriff auf den Kern des Internets. Pompeo hatte am 5. August die Ausweitung des „Clean Network“-Programms bekannt gegeben. Er möchte chinesische Apps in US-Appstores und US-Apps auf chinesischer (Huawei-)Hardware verbieten. Chinesische Cloud-Dienstleister sollen für US-Daten zur No-Go-Area werden. Als ultimativen Angriff auf das Herz des Internets bezeichneten Vertreter der Internet Society (ISOC) und der Entwicklergemeinde der Internet Engineering Task Force (IETF) die Teilinitiativen „saubere Netzbetreiber“ und „saubere Kabel“.

Die Zusammenschaltung unterschiedlicher Netze bilde das Fundament des Internets. „Unterbindet man die Zusammenschaltung, zielt man auf das Herz der Unternehmung Internet“, schreibt Google Ingenieur Ted Hardie, ehemaliger Vorsitzender des Internet Architecture Board, des Peergremiums der IETF.

Hardie warnt in einem kurzen Kommentar, dass auf der Basis von Zusammenschaltungsverboten Datenverkehr über Dritt-Staaten geleitet werden müsse. Das erhöhe die Risiken von Überwachung und Datenverlust bei gleichzeitiger Verschwendung von Netzwerkkapazität. Zugleich werde das Netz der Netze verwundbarer, weil weniger Strecken zur Verfügung stehen.

Ähnlich geschockt reagierte die ISOC. „Eine Zusammenschaltung von Netzen auf der Basis eines Regierungsdiktats, und damit aufgrund politischer statt technischer Erwägungen, läuft der Grundidee des Internets zuwider.“ Die Organisation fürchtet, dass Regierungen auf diese Weise die Chancen verspielt, die ein globales Netz mit sich bringt.

Es gibt allerdings auch Stimmen, die warnen, das jetzt an die Wand gemalte „Splinternet“ sei längst Realiltät. Die USA ziehen mit der "Clean Carrier/Clean Network"-Initiative lediglich nach, sozusagen mit einer eigenen "Great Firewall".

Hathaway, die zwischen 2007 und 2009 in der US-Administration für Netzstrategie und Cybersicherheits-Fragen zuständig war und unter anderem Präsident Obamas Cyberspace Policy Review verantwortete, hält die Durchsetzung von Pompeos Programm kurzfristig für praktisch unmöglich. Zwar sieht sie die Initiative als Versuch, die Abkoppelung der USA von chinesischer Technologie zu beschleunigen. „Aber so viele unserer Unternehmen nutzen diese Technologien, etwa die Alibaba-Cloud-Dienste“, schreibt Hathaway in einer Reaktion gegenüber heise online. Die Umsetzung sei ungeheuer schwierig „und es würde mindestes 5 bis 10 Jahre dauern“.

Auch über die am Freitag von Trump veröffentlichte Präsididalverfügung gegen TikTok und WeChat ist nach Ansicht von Hathaway noch nicht das letzte Wort gesprochen. „Ich gehe davon aus, dass diese Verfügung juristisch auf den Prüfstand gestellt werden wird.“ Präsidialverfügungen hätten übrigens nicht immer so viele Zähne, wie sie zeigen wollten. Bevor der Bann rechtlich bindend werde, müssten die zuständigen Aufsichtsbehörden, die Federal Trade Commission und Federal Communications Commission, den Bann verfügen, sagt Hathaway. Dafür muss die Regierung nachweisen, dass die Daten von WeChat und TikTok tatsächlich an die KP Chinas weitergereicht würden. „Ich glaube nicht, dass das der Fall ist“, meint sie.

Anstatt sich auf einzelne ausländische Unternehmen zu konzentrieren, empfiehlt Hathaway überdies, dass die USA eine konsistente Politik dafür verfolgen müsse, „wie alle Firmen unsere Daten behandeln“. Dabei seien Grundfragen regulatorisch zu bearbeiten, etwa nach Transparenz von Umfang und Art der Erhebung, Speicherung und Weitergabe von Daten, sowie Fragen nach Verwendungszweck, notwendigen Einwilligungen und Zugriffsrechten von Strafverfolgern. Klingt das nicht ein bisschen nach Datenschutzgrundverordnung? „Ja, genau“, schreibt Hathaway, und unterstreicht, dass das kalifornische Verbraucherdatenschutzgesetz in einzelnen Aspekten sogar strikter sei als die DSGVO.

(tiw)