House of Kahrs: Der Kanzler könnte über einen Polit-Mafioso aus Hamburg stürzen

Bei Johannes Kahrs, SPD, wurden über 200.000 Euro gefunden. Steht das Geld mit der Warburg-Affäre und Olaf Scholz in Verbindung? Eine Analyse von Fabio De Masi.

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf ScholzBernd von Jutrczenka/dpa

Zwei Tage nach der Bundestagswahl fand beim SPD-Strippenzieher aus Hamburg, Johannes Kahrs, eine Razzia wegen der kriminellen Cum-ex-Geschäfte der Warburg-Bank statt. Cum-ex bezeichnet Aktiendeals, bei denen die mehrfache Rückerstattung von Kapitalertragssteuern beantragt wird, die jedoch nur einmal gezahlt wurden. Es ist wie eine Pfandflasche im Supermarkt abzugeben, dann den Pfandbon zu kopieren und an der Supermarktkasse abzukassieren. Mit dem Unterschied, dass die Supermarktkasse der Staat ist und es um Milliarden geht.

Gefunden wurden bei der Razzia in der Privatwohnung des einflussreichen SPD-Politikers Kahrs von der konservativen Parteiströmung Seeheimer Kreis, der auch Bundeskanzler Olaf Scholz nahesteht, unter anderem der Mietvertrag für ein Bankschließfach bei der Hamburger Sparkasse, in dem sich über 200.000 Euro Bargeld befanden.

Es kam zu drei Treffen zwischen Scholz und Olearius

Zuvor war bereits öffentlich geworden, dass eine Hamburger Finanzbeamtin, die der Warburg-Bank geraten hatte, sich wegen drohender Rückforderung geraubter Cum-ex-Millionen an die Politik zu wenden, damit prahlte, dass ihr „teuflischer Plan“ aufgegangen sei und die Vorgesetzen in der Finanzbehörde (dem Hamburger Finanzministerium) zufrieden mit ihr seien. Diese Finanzbeamtin diente dem Kanzleramtschef von Olaf Scholz, Wolfgang Schmidt, kürzlich noch als glaubhafte Entlastungszeugin für Olaf Scholz in der Warburg-Affäre.

Kahrs war derjenige, der laut den beschlagnahmten Tagebüchern des Cum-ex-Bankiers Olearius unter anderem den Kontakt zwischen Olearius und dem damaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, herstellte. Dafür bedankte sich die Warburg-Bank bzw. Herr Olearius mit mehreren Spenden an die SPD Hamburg bzw. den Bezirksverband Hamburg-Mitte von Johannes Kahrs. Es kam zu drei Treffen zwischen Scholz und Olearius – zwei davon ohne Zeugen und ein Treffen am Tag, als die Weisung des Finanzministeriums an Hamburg, die Cum-ex-Tatbeute nicht erneut verjähren zu lassen, per Post in Hamburg eintraf. Olearius war damals bereits Beschuldigter, und in der Bank hatte eine Razzia stattgefunden.

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BLZ/Paulus Ponizak
Zum Autor
Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages für die Linke sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard einen Namen. Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

Scholz will wichtige Fragen nicht unbedingt beantworten

Später rief Scholz Olearius an und forderte ihn auf, „kommentarlos“ (also ohne schriftliche Spuren) ein Schreiben der Warburg-Bank, das bereits im Hamburger Finanzamt vorlag, an den damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgersmeister Hamburgs, Peter Tschentscher, zu geben, über den es mit Anmerkungen des Senators erneut in die Finanzverwaltung wanderte. Wenige Tage später kippte die Entscheidung zum Einzug der Tatbeute, die zuvor noch von der Finanzbeamtin Daniela P. in einem umfangreichen Gutachten mit der neuesten Rechtsprechung und der Beweislastumkehr gegenüber der Bank begründet wurde.

Scholz ist übrigens selbst Kronzeuge, dass diese „stille Post“ von ganz oben Einflussnahme auf das Steuerverfahren war: So sagte Scholz gegenüber den Enthüllungsjournalisten Oliver Schröm (NDR) und Oliver Höllenstein (Manager Magazin), denen wir die Kenntnis der Cum-ex-Tagebücher von Olearius verdanken: Er habe das Schreiben nicht selbst an die zuständige Behörde weitergeleitet, „da dies allein aufgrund der Tatsache der Weiterleitung durch den Ersten Bürgermeister Anlass zu Interpretationen hätte geben können!“ Warum Herr Scholz dann wollte, dass Olearius das Schreiben an seinen damaligen Finanzsenator schicken sollte, obwohl die Politik keinen Einfluss auf Steuerverfahren nehmen darf, will Scholz bis heute nicht beantworten.

Hat es wirklich keinen Einfluss auf das Steuerverfahren gegeben?

Diese Enthüllungen haben das Potenzial für eine Staatskrise. Denn es geht längst nicht mehr nur darum, warum der Bundeskanzler auch mich persönlich am 4. März 2020 im Bundestag auf meine konkrete Nachfrage zu weiteren Treffen mit dem Warburg-Bankier Olearius, von denen damals erst eines bekannt war, belogen hat – nur um sich später auf Erinnerungslücken zu berufen! Es geht nicht nur darum, ob Politik organisierte Kriminalität, nichts anderes ist Cum-ex, geschützt hat und Einfluss auf ein Steuerverfahren genommen hat, um 2016 die Tatbeute in die steuerliche Verjährung laufen zu lassen.

Die spätere strafrechtliche Einziehung steuerlich verjährter Tatbeute war damals nämlich noch nicht absehbar und wurde erst durch einen mutigen Richter und Gesetzesänderungen möglich. Deswegen musste das Bundesfinanzministerium unter dem damaligen CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble damals auch einschreiten, um im Jahr 2017 eine erneute Verjährung der Tatbeute zu unterbinden.

Es geht auch darum, ob die Politik käuflich war! Der Vorsitzende des Warburg-Untersuchungsausschusses der Hamburger Bürgerschaft, Mathias Petersen (SPD), führte kürzlich im Spiegel aus: Der Gedanke lieg nahe, dass Kahrs „die Spenden (Anmerkung des Autors: gemeint ist der Warburg-Bank) als Gegenleistung für seinen Einsatz in der Steuersache Warburg eingeworben hat!“

Da Kahrs Engagement unter anderem in der Vermittlung von Gesprächen mit Olaf Scholz bestand, drängt sich daher die Frage auf, wie die SPD dann zu der Behauptung kommt, es habe keinen Einfluss auf das Steuerverfahren gegeben? Worin bestand denn sonst die Leistung von Kahrs? Und warum hat die SPD Hamburg bis heute die Cum-ex-Spenden nicht zurückgezahlt, die Warburg mutmaßlich noch steuermindernd absetzen konnte? Man kann nicht vom „House of Kahrs“ finanziell profitieren und ihn dann zum Einzeltäter abstempeln.

Seit jeher engagierte sich Kahrs für Waffenlieferungen an Diktaturen

Kahrs kokettierte seit jeher mit seinem schlechten Image. Viel Feind, viel Ehr. Seiner Karriere tat dies keinen Abbruch. Mit 28 terrorisierte er eine Parteigenossin mit nächtlichen Drohanrufen („Ich krieg dich, du Schlampe!“) und lief in eine Fangschaltung. Auch im Umfeld geklauter Wahlzettel aus einer Urne bei der Urwahl über den SPD-Bürgermeisterkandidaten für Hamburg, bei der der Altonaer Arzt und linke Sozialdemokrat Petersen um seinen Sieg gebracht wurde, verdächtigte der linke Flügel der Sozialdemokraten immer wieder auch Kahrs, eine Rolle gespielt zu haben.

Seit jeher engagierte er sich für Waffenlieferungen an Diktaturen wie Saudi-Arabien und unterhielt engste Beziehungen zur Rüstungsindustrie. Es war ein offenes Geheimnis im Bundestag, dass Abgeordnete der Regierungsfraktionen, die Geld etwa für Wirtschaftsförderung in ihrem Wahlkreis begehrten, sich mit Kahrs gut stellen mussten. Er behandelte den Bundeshaushalt wie Privat- und Parteieigentum.

Kahrs ist Geschichte und eine Sache für die Staatsanwältin. Es geht daher vor allem um die charakterliche Befähigung des Bundeskanzlers, der geschworen hat, der Bevölkerung zu dienen. Es geht auch um das Selbstverständnis der Sozialdemokratie, die einmal den Anspruch hatte, die Schutzmacht der kleinen Leute bzw. der Arbeiter und Angestellten zu sein, und nicht mutmaßlich krimineller Bankiers von der Elbchaussee.

Muss bald gegen den Bundeskanzler ermittelt werden?

Natürlich ist es nicht strafbar, 200.000 Euro im Bankschließfach aufzubewahren, auch wenn Strafzinsen der Hamburger Sparkassen auf Kundeneinlagen dafür nicht herhalten können, da sich diese durch ein Sparkonto umgehen ließen und diese zunächst auch nur für Neukunden galten. Es kann jedoch nur eine Begründung dafür geben: Es handelte sich um schmutziges Geld. Denn bei Einzahlungen ab 10.000 Euro auf ein Konto hätte Kahrs die Herkunft der Gelder nachweisen müssen. Entweder Kahrs legt offen, woher das Geld stammt, und belastet sich selbst – oder der Kanzler hängt mit drin.

Denn beruft sich Kahrs weiter auf sein Recht, aufgrund der Cum-ex-Ermittlungen gegen ihn zu schweigen, muss aber (politisch, nicht strafrechtlich) davon ausgegangen werden, dass die Gelder im Zusammenhang mit der Warburg-Affäre stehen, und dann klebt das schmutzige Geld auch an Scholz. Der Träger des Deutschen Journalistenpreises Oliver Schröm, der gerade an einem Buch zu Olaf Scholz („Die Akte Scholz“) arbeitet, sagte in einem Interview mit dem Tagesspiegel: Scholz wird noch ein drittes Mal in den Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft kommen müssen. (Am 19. August steht Scholz' zweite Vernehmung dort an.) Schröm verlautbart: „Allein die neuen Fakten, die wir in unserem Buch offenlegen, werden genügend neue Fragen aufwerfen. (…) Wenn Olaf Scholz sagt, er könne sich an nichts erinnern, lügt der Bundeskanzler. (…) Es geht übrigens nicht nur um seine Treffen mit den Privatbankiers, sondern auch um Gespräche mit Johannes Kahrs und einem anderen SPD-Politiker zu dem Thema Warburg, an die sich Scholz nicht erinnern kann.“

Es wäre daher denkbar, dass bald auch gegen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Begünstigung von Steuerhinterziehung ermittelt werden muss!

Fabio De Masi war Hamburger Bundestagsabgeordneter für die Linke und hat die Befragungen des damaligen Finanzministers Olaf Scholz 2020 im Deutschen Bundestag initiiert, bei denen Scholz immer erst nach Veröffentlichungen Treffen mit dem Warburg Bankier Olearius einräumte und die zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in der Hamburger Bürgerschaft führten.

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