Insolvenzen: "Ab Herbst werden wir überrollt"

Bislang blieb die befürchtete Insolvenzwelle aufgrund von Corona aus. Doch die ist nur vertagt auf Herbst, weil ein Gesetz ausgesetzt wurde.

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Insolvenzen: "Ab Herbst werden wir überrollt"

(Bild: nuruddean / Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Zahlungsunfähige Unternehmen sind für ein halbes Jahr von der Pflicht entbunden, ihre Insolvenz bei Gericht anzuzeigen. Das schont die wegen Corona in finanzielle Not geratenen Firmen und schadet deren Geschäftspartnern, weil die nun nicht wissen können, dass sie mit einer zahlungsunfähigen Firma Geschäfte machen. Ende September endet die Aussetzung der Anzeigepflicht und dann erwartet Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung im Verband der Vereine Creditreform eine Insolvenzwelle. Den Mitarbeitern insolventer Firmen empfiehlt er nicht pauschal zu kündigen, weil das Insolvenzrecht vielmehr die Sanierung als eine Zerschlagung einer Firma zum Ziel hat. Eine Insolvenz ist dennoch eine gefährliche und kritische Situation für die Mitarbeiter mit unklarem Ausgang.

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heise online: Im ersten Halbjahr gab es mit 8900 Unternehmensinsolvenzen 8,2 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Was ist die Ursache dieses überraschenden Rückgangs?

Patrik-Ludwig Hantzsch

Hantzsch: Ursächlich dafür sind die staatlichen Unterstützungen durch KfW-Kredite, Zuschüsse für Selbstständige und kleine Gewerbetreibende sowie Steuerstundungen und Staatsbeteiligungen. Vor allem aber ist es die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die einen akuten Anstieg der Pleiten verhindert. Der beabsichtigte Effekt wurde durch den bemerkenswerten Rückgang weit übertroffen.

Die Aussetzung wurde auf die Zeit zwischen März und September befristet und an die beiden Bedingungen geknüpft, dass Corona die Ursache der Zahlungsunfähigkeit ist, die aber beseitigt werden kann. Wird mit der ruhenden Pflicht zum Insolvenzantrag die Insolvenzwelle wegen Corona nur vertagt?

Ja, die Insolvenzwelle ist nur verschoben! Mit dem Aussetzen der Insolvenzantragspflicht sollen Unternehmen davor geschützt werden, wegen Corona in die Insolvenz gehen zu müssen. Das klingt plausibel, ist aber ein zweischneidiges Schwert. Unternehmen, die seit Jahresbeginn zahlungsunfähig waren oder sind, müssen ihre Zahlungsunfähigkeit nicht öffentlich anzeigen. Der Zeitpunkt ist zu früh gesetzt und besonders problematisch ist, dass ein insolventes Unternehmen anderen Marktteilnehmern nicht mehr offen kommunizieren muss, dass es zahlungsunfähig ist. Das ist eine akute Gefahr für deren Geschäftspartner und Lieferanten. Gläubiger laufen Gefahr, Geschäfte mit Abnehmern zu machen, die nicht zahlen können. Forderungsausfälle sind die Folge, was zu Anschlussinsolvenzen gesunder Unternehmen führen kann.

In welchem Fall muss eine Firma üblicherweise einen Insolvenzantrag beim Gericht einreichen und was geschieht dann?

Nach dem Gesetz hat der Geschäftsführer bei Zahlungsunfähigkeit spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenz-Eröffnungsantrag zu stellen. Zahlungsunfähigkeit tritt ein, wenn die Gesellschaft aus Mangel an finanziellen Mitteln nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dazu zählen Lieferantenschulden sowie Gehälter. Auf der Seite https://www.insolvenzbekanntmachungen.de werden alle deutschen Firmen bekanntgegeben, die ein Insolvenzverfahren bei Gericht beantragt haben. Die Veröffentlichung dient dem Gläubigerschutz.

Insolvenz heißt nicht zwangsläufig, dass ein Unternehmen aufgelöst wird. Welche Möglichkeiten gibt es, um das zu verhindern?

Das Insolvenzrecht bietet mehrere Möglichkeiten, den Turnaround zu schaffen, weil es viel mehr die Sanierung als die Zerschlagung des Unternehmens zum Ziel hat. Nachdem geprüft wurde, ob ein Insolvenzgrund vorliegt wird eine Fortbestehensprognose erstellt und ein Sanierungsplan erarbeitet. Darin werden Ziele wie Kostensenkung, Umsatzsteigerung und damit die Unternehmenssanierung festgehalten. Eine sinnvolle Alternative für größere Unternehmen in finanzieller Krise ist das Schutzschirmverfahren, das derzeit bei Galeria Karstadt-Kaufhof durchgeführt wird.

Knapp 9000 Insolvenzen gab es im ersten Halbjahr. Was sind das für Unternehmen, gibt es da Schwerpunkte?

Weniger kleine Unternehmen als sonst haben ihre Insolvenz angezeigt, demgegenüber steht ein Anstieg bei den mittleren und größeren Unternehmen. Deutlich rückläufig sind Pleiten bei Unternehmen mit Umsätzen bis 250.000 Euro im Jahr. Das sind beispielsweise kleine Gastronomiebetriebe, die derzeit verstärkt von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis September und den Soforthilfen Gebrauch machen.

Welche Unternehmen sind wegen Corona gefährdet?

Viele Branchen leiden derzeit unmittelbar wie Gastronomie und Tourismus durch einbrechende Umsätze bedingt durch den Shutdown. Es gab aber schon eine Krise vor der Corona-Krise: Der Brexit, die Handelskriege zwischen den USA und China und zunehmende Deglobalisierungstendenzen setzen der deutschen Wirtschaft zu. Die Abhängigkeit der Wirtschaft von der Industrie und deren Exporten schlägt nun voll durch.

Ein Beispiel dafür ist die Automobilbranche, die mitten in einem Strukturwandel steckt, der tiefer greift als ein vorübergehender Produktionsstopp ist. Kurzum: Schon Ende des vergangenen Jahres wankten deutsche Schlüsselindustrien wie Auto- und Maschinenbau. Wird eine geordnete Marktbereinigung weiter verhindert, wie mit der Aussetzung der Insolvenzanträge, Krediten und Zuschüssen nach dem Gießkannenprinzip, fehlt es später an der finanziellen Kraft, um in der Post-Corona-Zeit wettbewerbsfähig zu bleiben.

Was bedeutet eine Insolvenz für die Mitarbeiter des Unternehmens und welche Folgen hat sie für die Beschäftigten? Wie erfahren die Mitarbeiter von der Insolvenz ihres Arbeitgebers und wer zahlt dann wie lange, wie viel Gehalt?

Erstmal ist eine Insolvenz keine pauschal schlechte Nachricht. Am Ende kann auch eine erfolgreiche Sanierung stehen. Die Mitarbeiter müssen sich wegen des Insolvenzgeldes auch nicht sorgen, dass von heute auf morgen kein Geld mehr gezahlt wird. Das wird meist für einen Zeitraum von drei Monaten von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt und beträgt die Höhe des Nettolohns. Danach ist die Situation allerdings ungewiss, da der Block Personalkosten immer einer der größten ist und mit Personalabbau schnell und viel Geld gespart werden kann.

Wie ist Ihr Rat: Sollten Mitarbeiter einer Firma, die in Zahlungsschwierigkeiten ist, kündigen?

Da kann ich keine pauschale Aussage treffen. Jeder Mitarbeiter muss aus seiner persönlichen Situation heraus entscheiden, ob seine Firma eine Zukunft hat und ob er dabei eine Rolle spielt.

(axk)