"He who touched it last, owned it": Zum Tode der Unix-Pionierin Lorinda Cherry

Lorinda Cherry war bereits in der ersten Unix-Version vom November 1971 mit dem Programm dc (Desk Calculator) vertreten. Damit begann ihre rege Tätigkeit.

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Lorinda Cherry in einem AT&T-Film von 1982.

(Bild: AT&T Tech Channel, Screenshot)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Die Unix-Programmierin Lorinda Cherry ist gestorben. Bereits in der ersten Unix-Version vom November 1971 war sie mit dem Programm dc (Desk Calculator) vertreten. Später entwickelte sie zusammen mit Robert Morris den Präzisionrechner bc und 1976 zusammen mit Brian Kernigham das Formelsatzsystem eqn. Ausgehend vom Statitic-Programm typo entwickelte sie die Idee zur Writer's Workbench, einer Sammlung von Tools für Textverarbeiter. 1994 schloss sie eine der ersten Datenbanken als WWW-Angebot an das Internet an.

Von Lorinda Cherry sind nur wenige persönliche Daten bekannt, selbst das Geburtsjahr ist nicht verifizierbar, vermutlich wurde sie 77 Jahre alt. 1969 studierte sie Mathematik und Computer Science am Stevens Institute of Technology und ging dann zu den Bell Labs, wo sie bald an der Entwicklung des Unix-Betriebsystems mitarbeitete. Unter den 60 User-Befehlen, der ersten Version von Unix wird sie als Autor von dc, dem Desk Calculator aufgeführt, außerdem als diejenige, die die Regel festlegte, wer als Autor eines Unix-Befehls gilt: "He who touched it last, owned it".

Mit der fortlaufenden Weiterentwicklung von Unix entwickelte sie aus dc zusammen mit Robert Morris bc (PDF) für Präsizionsrechnungen. Mit typo schrieb sie ein Programm zur statistischen Analyse nach einer Idee von Robert Morris. typo ermittelte die selten benutzten Worte eines Textes – die sehr häufig Schreibfehler waren.

Der nächste Erfolg in der Entwicklung von Unix entstand in Zusammenarbeit mit Brian W. Kernigham. Dieser hatte während der Arbeit an seiner Promotion Geld damit verdient, mathematische Fachbücher für die Organisation "Recording for the Blind" vorzulesen und so schwebte ihm eine Formelsatzsprache vor, die so eingetippt getippt wird, wie sie gesprochen wird. Das Resultat war eqn, ein Formel-"Präprozessor": eqn erkannte Formeln und übersetzte sie in Troff-Befehle.

Glauben wir der Darstellung von Kernigham in seinem Buch "Die Unix-Story" von 2021, so war eqn die Inspirationsquelle von Donald E. Knuths Schriftsatzsystem TeX. Lorinda Cherrys nächster Schritt in der Beschäftigung mit Text-Output war die gemeinsam mit Nina McDonald entwickelte Writer's Workbench, eine Sammlung von Utilities für die Textanalyse. Die übermäßige Nutzung von Adjektiven, überlange Schachtelsätze, die Mixtur von britischen und US-amerikanischen Ausdrucken oder sexistische Sprache sollten mit diesen Werkzeugen gefunden werden.

Von den Bell Labs wechselte Cherry schließlich zur Mutterfirma AT&T. Hier beschäftigte sie sich mit der Analyse von Gesprächsnotizen der Telefonistinnen, die Beschwerden entgegennehmen mussten. Per Textanalyse sollten tieferliegende Probleme im Kommunikationssystem des Konzerns erkannt werden. Das Auftauchen von ungewöhnlichen Worten sollte schneller Hinweise auf mögliche Störungen geben.

Zusammen mit Kerningham analysierte Cherry schließlich die Kommerzialisierung des Internets. Sie besorgten sich die Datenbank aller (kostenlosen) 800er-Telefonnummern von AT&T und stellten sie 1994 ins Internet. Als "riesiger Datenschatz" gelobt (157.000 Datensätze, 20 MB), gehörte AT&T zu den Cool Links von Yahoo, während man aus den Logfiles Messgrößen für das enorme Wachstum des Internets gewann.

Eine späte Ehrung für ihr Lebenswerk erfuhr Cherry im Jahr 2018, als sie den Pioneer in Tech Award des "National Center for Women & Information Technology" erhielt, für den der Unix-Pionier Doug McIlroy ihr Leben aufschrieb.

In Ihrer Freizeit fuhr Lorinda Cherry Autorennen, später führte sie ihre prämierten Dobermänner auf Hundeschauen vor. Ihre letzte Software war ein Statistik-Analyseprogramm zur Ermittlung der Voreingenommenheit von Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen auf Hundeschauen. Ein Hundebesitzer bemerkte ihr Fehlen auf den regelmäßigen Spaziergängen und alarmierte die Polizei. Am 15. Februar öffnete diese Cherrys Haus und fand ihre Leiche. Die Todesursache ist unbekannt, ebenso das Todesdatum.

(anw)