Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Die Russland-Sanktionen und der Geist des Versailler Vertrags

von Gert-Ewen Ungar

Erstveröffentlichung am 02.06.2023 auf neulandrebellen.de

Deutschland ist als gesellschaftliche Entität erneut aus der Zivilisation gefallen und wieder im Zustand der Barbarei angekommen. Das war schon vor dem 24. Februar 2022 der Fall, es blieb jedoch noch verdeckt. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wurde es ganz offenbar. Deutschland ist ein barbarisches Land, das hinter zivilisatorische Standards zurückfällt. Nicht alle Deutschen, mag man einwenden,  aber das politisch-mediale Konglomerat.

Deutschland schämt sich auch nicht für seine wiedergewonnene barbarische Geisteshaltung. Im Gegenteil sind die entsprechenden Eliten in Medien und Politik voller Stolz auf ihre harte Haltung hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine, stolz auf ihren wiedererstarkten Bellizismus. Endlich darf Deutschland im Krieg wieder mitmischen, von jeder Scham befreit Waffen in Kriegsgebiete liefern, sich den Sieg über Russland wünschen und die ganze Amoral mit moralischer Hybris bis zum Geht nicht mehr aufblasen.

An elaborierten Begründungen, warum man das Schlachten und Töten in der Ukraine unbedingt verlängern und am Laufen halten muss, ist in der deutschen Politik kein Mangel. Es wird in diesem Zusammenhang in Deutschland über alles mögliche gefaselt und geschwurbelt, nur der tatsächliche Kriegsgrund wird nicht benannt: In der Ukraine kämpft der Westen einen Krieg gegen Russland. Russland hat ihm eine Grenze bei seinem Streben nach imperialer Ausdehnung aufgezeigt. Die Ausdehnung der NATO berührt russische Sicherheitsinteressen. Diese nicht zu beachten und sogar zurückzuweisen hat den Krieg ausgelöst. Alles andere ist Geschwurbel.

Russlands ignorierte Sicherheitsinteressen

Diese Interessen zu ignorieren, obwohl sie von Russland über Jahre klar und immer klarer formuliert wurden, bedeutet eine Rückfall hinter den Gründungsgedanken der UNO. Der deutsche Glaube, mit seinen Bündnispartner im Recht des Stärkeren zu sein, fällt selbst hinter die zivilisatorische Errungenschaft des westfälischen Friedens zurück. Die Köpfe der Entscheider in der deutschen Politik, in den Ministerien und Ausschüssen hält das finstere Mittelalter fest im Griff. Auch in den sozialen Netzwerken gibt sich der gemeine Deutsche gern der Scholastik hin, belegt, das man im Recht ist und daher auch das Recht zur Vernichtung hat.

Aber nicht nur in direkter Hinsicht auf das Schlachtfeld, auch in anderen Bereichen sind die germanischen Barbaren zurück. Die Motivation für die umfassenden Russland-Sanktionen ist, Russland wirtschaftlich zu zerstören. Es soll den Menschen in Russland die Existenzgrundlage genommen werden. Man möchte Mangel auslösen. Das Denken, das der Blockade von Leningrad zugrunde lag, ist zurück in der deutschen Politik, bricht sich Bahn in den Medien und den Chats in den sozialen Netzwerken. Es regiert der Hass. Man würde es gutheißen, wenn der Russe hungern müsste, wenn er nichts mehr hätte, er leiden müsste. Das würde das deutsche Verlangen nach Überlegenheit ein bisschen dämpfen.

Wenn wir Mangel auslösen, gibt Russland auf, der Krieg ist zu Ende, glaubt man in Deutschland. Russland ist bankrott und kann gefleddert, geteilt, unter westliche Kontrolle gebracht werden. Das Wort Dekolonialisierung macht die Runde. Gemeint ist die Aufspaltung Russlands. Ein Plan, den bereits die Nazis verfolgten. Die Statthalter stehen bereit. Dass sich Deutsche finden werden, die bereit wären, die Knechtschaft für alle Russen mit großer Freude und Genugtuung noch ein bisschen grausamer und demütigender machen, steht außer Frage.

Der Geist der Blockade von Leningrad

Unter ökonomischen Aspekten ist der deutsche Glaube an die Bezwingbarkeit Russlands durch Sanktionen zwar völliger Unsinn. Russland braucht zum Führen des Krieges keine ausländischen Devisen, denn alles, was für Russland mit diesem Krieg zu tun hat, wird in Rubel bezahlt. Russland importiert keine Waffen, zumindest nicht in nennenswertem Umfang, es verfügt über eine eigene, riesige Rüstungsindustrie und ist auf ausländische Devisen daher auch nicht angewiesen. Aber was schert man sich in Deutschland schon um Fakten, wenn es um tiefe und dumpfe Gefühle geht. Zudem ist die Welt an einem westlichen Sieg, an einem Sieg Deutschlands aus guten und zivilisierten Gründen nicht interessiert und kooperiert nicht.

Dennoch lässt sich an dem Wunsch deutscher Politik nach einem Sieg über Russland mit möglichst bitteren Konsequenzen für das Land die moralische Verrohung des politischen Deutschlands ablesen. Was man auf gar keinen Fall möchte, ist den Kriegsgrund ausräumen. Das Thema Sicherheitsgarantien für Russland und die Ukraine existiert in den deutschen Medien nicht. Es existiert nur der Wille, über Russland zu siegen und das Land und seine Menschen zu demütigen.

Selbst im Sport will man an Russland Rache nehmen. Innenministerin Nancy Faeser, neben Baerbock und Strack-Zimmermann eine der drei deutschen Erinyen, eine der Rachegöttinnen, mit denen ein ungnädiger, wütender und grausamer Gott die Menschheit, mindestens jedoch die Europäer zu strafen gedachte, will bei internationalen Großveranstaltungen russischen Sportlern keine Einreisevisa mehr erteilen. So geht Primitivität und Missgunst. Von irgendeiner Moral, irgendeiner Größe ist da gar nichts zu sehen. Es ist ganz gewöhnliche Niedertracht, die sich in der Politik Deutschlands zeigt.

In einem möglichen Frieden die Saat für Krieg anlegen

Deutschland ist in das Denken vor der Gründung der UNO zurückgefallen. Der Feind muss auch im Frieden noch leiden und niedergehalten werden. Er muss auf Dauer herabgedrückt werden und für ewig seine Niederlage fühlen.

In Deutschland ist man wieder beim Geist des Versailler Vertrages angekommen. Man pflegt erneut ein Denken, das selbst im Friedensschluss die Saat für einen neuen Krieg anlegt. Dabei müsste kein Land besser wissen als ausgerechnet Deutschland, was die Folgen sind. Der Rückfall ins Unzivilisierte, in die Rachsucht und den Hass, verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf die ausgesprochene niedrige Moral deutscher Politik, ihren umfassenden Mangel an Größe und Klugheit. Der deutsche Rückfall in die Barbarei deutet vor allem auf die maximale Unfähigkeit Deutschlands, aus der eigenen Geschichte zu lernen.

Gert-Ewen Ungar studierte Philosophie und Germanistik und und schreibt regelmäßig für die Neulandrebellen  


Bild: Amerikanische zeitgenössische Sicht auf die deutschen Kriegsreparationen des Ersten Weltkriegs. Politische Karikatur 1921
Aus: New York World – Public Domain,
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45282907