Steuerzahlerbund rügt Luca-App, digitalen Impfnachweis und IT-Chaos beim Bund

Der Bund der Steuerzahler kritisiert in seinem Schwarzbuch 2021 Rückstände bei der digitalen Staatsmodernisierung und vor allem im Gesundheitswesen.

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(Bild: Sebastian Duda/Shutterstock.com)

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Mit einer konsequenten digitalen Staatsmodernisierung könnten Bürger und Betriebe viel Zeit und jährlich mehrere Milliarden Euro einsparen. Dies erklärt der Bund der Steuerzahler (BdSt) in seinem am Dienstag veröffentlichten Schwarzbuch 2021, in dem er große Fälle von Verschwendung öffentlicher Gelder ankreidet. Einen Schwerpunkt legt das Schwarzbuch in diesem Jahr auf den digitalen Rückstand der Verwaltung sowie das Gesundheits- und Bildungswesen von Bund und Ländern.

Am Beispiel Sachsen-Anhalts beleuchtet der BdSt etwa Fehlausgaben bei der Kontaktnachverfolgung während der Corona-Pandemie. Das dort zuständige Landesministerium für Arbeit und Soziales habe für die umstrittene Luca-App im Frühjahr fast eine Million Euro für eine Laufzeit von einem Jahr bereitgestellt. In den Gesundheitsämtern werde die Anwendung aber "nur wenig genutzt". In einzelnen Gesundheitsämtern gebe es Bedenken gegen das System.

Als "besonders gravierend" wertet der BdSt die Tatsache, dass das Land bei der Luca-App die Jahreslizenzen inklusive der Kosten für Rechenzentrenkapazitäten im Voraus bezahlt und nicht auf nutzerabhängige Preismodelle gesetzt habe. Für den Anbieter dürfte der finanzielle Vorteil daher "umso höher sein, je weniger die App genutzt wird". Die Beschaffung sehe so "wenig strukturiert und kaum nachhaltig aus". Dazu komme, dass eine ganze Reihe weiterer Bundesländer ähnliche Lizenzen aus öffentlichen Mitteln in Höhe von insgesamt rund 21 Millionen Euro erworben haben sollen.

Zum Start der Corona-Impfkampagne habe in Deutschland kein System zur Verfügung gestanden, um die Impfungen "sofort elektronisch zu erfassen und später unkompliziert in das europäische Impfzertifikat zu übertragen", beklagen die Prüfer auch unnötig teure digitale Covid-Impfnachweise. Anfangs erhielten Ärzte und Apotheker für das nachträgliche Ausstellungen der entsprechenden QR-Codes bis zu 18 Euro pro Stück, später bis zu sechs Euro. Wie hoch die Gesamtkosten ausgefallen sind, habe das Bundesgesundheitsministerium noch nicht sagen können.

Ferner stößt dem BdSt ein "IT-Chaos beim Bund" übel auf. Schon 2015 habe die Bundesregierung das Projekt "IT-Konsolidierung" beschlossen, um die Rechner- und Netzinfrastruktur der Verwaltung zeitgemäß, effizient und sicher aufzustellen. Weil die Fortschritte über Jahre weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben seien, "wurde die Organisation mit Beginn des Jahres 2020 komplett neu strukturiert". Die Kosten seien anfangs auf einen "mittleren dreistelligen Millionenbetrag" geschätzt worden, inzwischen sei von 3,4 Milliarden Euro die Rede. Selbst dieser Rahmen dürfte aber wohl gesprengt werden.

Bereits jetzt sei klar, dass es daneben auch Verzögerungen geben werde, heißt es in dem Bericht: "Statt bis 2025 sollen die Behörden nun bis 2028 in die zentrale IT-Struktur überführt werden." Komplexe Abstimmungsprozesse sowie Personalmangel im eigenen Haus und bei IT-Dienstleistern seien weitere bekannte Risiken. Auch die Einführung des Bundesclients als standardisierter IT-Arbeitsplatz brauche länger als erwartet. Der Bundesrechnungshof sehe so die Gefahr, dass dieser beim Ausrollen schon veraltet sein könnte.

In Brandenburg und Sachsen rügt der BdSt teure Planungsfehler beim staatlich geförderten Breitbandausbau. So seien in Borkheide im Landkreis Potsdam-Mittelmark teils "unbewohnte Gartenlauben" für Glasfaseranschlüsse "straßenseitig vorbereitet" worden, da nur Anschlussstellen unterhalb von 30 MBit/s förderfähig waren. Gewerbetreibenden wie dem örtlichen Hotel sei der Internet-Turbo dagegen vorenthalten worden.

Im Landkreis Bautzen haben die Verwaltung und das Planungsbüro dem Schwarzbuch zufolge "veraltetes und ungenaues Kartenmaterial" in einer insgesamt 105 Millionen Euro teuren Breitbandinitiative verwendet. So seien Acker und Wiesen als Bedarfsflächen ausgewiesen und Wohngebiete nur lückenhaft eingebunden worden. Um Anschlüsse für die 5900 vergessenen oder bisher nicht erfassten Adressen zu schaffen, habe der Kreis nachträglich ein neues Förderprojekt aufgelegt mit geplanten Ausgaben von 83,3 Millionen Euro.

Im Digitalbereich reibt sich der BdSt zudem unter anderem an der für rund 1,2 Millionen Euro entwickelten "Autobahn-App", deren Zahl der aktiven Nutzer zwischen Ende Juli bis Anfang September von etwa 130.000 auf rund 14.000 geschrumpft sei. Die bereitgestellten Informationen böten offenbar keinen Mehrwert. Hamburg habe es jahrelang nicht geschafft, sich etwa bei der Polizei von Windows 7 zu lösen. Daher müsse der Steuerzahler allein für 2020 und dieses Jahr 883.000 Euro zusätzliche Supportgebühr berappen. Der Berliner Senat verzettele sich derweil bei Einführung der E-Akte und drohe "am Behördendickicht zu scheitern".

Den Verhandlungsführern der geplanten Ampel-Koalition rät der Bund, kein neues Digitalministerium zu schaffen, sondern einschlägige Verantwortung und Kompetenz in einem bereits bestehenden Ressort zu bündeln sowie dieses um eine "schlagkräftige Digitalagentur" zu ergänzen. Ein Digital-TÜV für Gesetze sollte sicherstellen, "dass alle Vorhaben auf Digitaltauglichkeit geprüft werden".

(vbr)