Studie: Tiefe digitale Kluft bei Schulen

Die digitale Spaltung zwischen Schulen in Deutschland ist laut einer Umfrage so groß, dass die Chancengleichheit bei der Bildung völlig verloren zu gehen droht.

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(Bild: Rido/Shutterstock.com)

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Die Differenzen zwischen Schulen sind hierzulande beim Lehren und Lernen mit digitalen Medien und der Online-Infrastruktur gewaltig. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren der am Mittwoch veröffentlichten Studie "Digitalisierung im Schulsystem 2021", die die Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erstellt hat. Die Spaltung sei besorgniserregend, da die vielfach geforderte Chancengleichheit bei der Bildung endgültig zu einer Illusion zu werden drohe.

Die Forscher unterscheiden zwischen digitalen Vorreiter- und Nachzügler-Schulen. Bei ersteren arbeiten 72 Prozent der Lehrkräfte in einer Umgebung, die digitales Lehren und Lernen prinzipiell unterstützt. Bei letzteren sind es nur 5 Prozent. 94 Prozent der Erzieher an digital führenden Schulen haben zum Unterrichten Zugang zum Internet, bei den hinterherhinkenden sind es nur 37 Prozent.

87 Prozent Pädagogen an Vorreiter-Schulen können für den Unterricht digitale Geräte einsetzen, bei den Nachzüglern nur 29 Prozent. Kaum kleiner ist die Differenz bei der Ausstattung der Schüler mit Tablets, Laptops oder Arbeitsplatzrechnern in Klassen. Hier liegt das Verhältnis bei 89 zu 40 Prozent. Als eine praktische Folge der Ungleichheiten machen die Autoren die Fähigkeit zum Erkennen von Falschmeldungen im Internet aus. An Vorreiter-Schulen gaben 62 Prozent der Lehrkräfte an, sie brächten ihren Schülern bei, wie sie Online-Informationen überprüfen könnten. An den Nachzügler-Schulen sind es nur 34 Prozent.

An digital gut aufgestellten Schulen können sich 90 Prozent der Lehrer zudem an einer Strategie ihrer Schule für alle Fragen rund ums Internet und die zugehörige Ausstattung orientieren. Bei der Nachhut sind es 37 Prozent. Dort sei der "Technikstress" besonders hoch, monieren die Autoren. Bei Bildungsstätten mit weit entwickelten Rahmenkonzepten seien die Ausbilder zufriedener mit ihrer Arbeit und hätten insgesamt bessere berufliche Chancen.

Die Wissenschaftler machten zwar einen pandemiebedingten Digitalisierungsschub an allen Schulen aus. Dieser manifestiere sich – auch dank des Digitalpakts Schule von Bund und Ländern – etwa in einer besseren Internetanbindung, mehr schuleigenen Endgeräten für Schüler und eine häufigere Nutzung digitaler Medien für den Unterricht. Das von der Kultusministerkonferenz aufgestellte Ziel, eine umfassende digitale Lernumgebung für alle Schüler bis 2021 zu schaffen – sei aber meist noch nicht erreicht.

Wenig verbreitet sind laut der Analyse noch immer anspruchsvollere Lern- und Lehrformate. So nutze nur eine Minderheit von 13 Prozent der Lehrkräfte öfters Kollaborationsplattformen. Nur bei 10 Prozent der Befragten gehörten digitale Klassenarbeiten und Tests zum Schulalltag. 32 Prozent der Pädagogen erreichten beim Einsatz digitaler Medien und Techniken ihre Grenzen, weil sie nicht entsprechend ausgebildet worden seien. Trotz zunehmender Unterstützung von den Schulleitungen lernten die meisten von Kollegen an der eigenen Einrichtung.

50 Prozent der Bildungsstätten haben ferner noch kein WLAN, 24 Prozent keine Schulcloud. 95 Prozent der Lehrkräfte nutzen private elektronische Geräte für Dienstzwecke. 24 Prozent der Schulen bieten ihnen eine digitale Ausstattung an.

"Ausgelöst durch Coronakrise und Digitalisierungsschub ist die wöchentliche Arbeitszeit der Lehrkräfte um rund 30 bis 60 Minuten gestiegen", weiß Studienleiter Frank Mußmann. Dabei habe die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Lehrkräfte schon vor der Pandemie die Normarbeitszeit deutlich überstiegen. Von einem Viertel sehr stark belasteter Pädagogen werde sogar die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche überschritten. Dies gefährde deren Gesundheit.

"Wir dürfen die Digitalisierung an der Schule nicht auf Ausstattungsfragen reduzieren", unterstrich GEW-Vorstandsmitglied Ralf Becker. Drei Balken im WLAN-Symbol bedeuteten nicht automatisch gute Bildung. Die pädagogisch-sinnvolle Anwendung digitaler Technik und Formate im Unterricht erfordere Zeit sowie Ressourcen für Fort- und Weiterbildung ebenso wie für die Anpassung analoger an digitale Formate. Lehrkräfte dürften nicht mit zusätzlichen IT-Aufgaben belastet werden, sondern sollten sich in ihrer Arbeitszeit auf den Lehrberuf konzentrieren können. Die Digitalpaktmittel für IT-Administratoren müssten endlich an den Schulen ankommen.

Für die Untersuchung befragten die Forscher in Kooperation mit dem Umfragezentrum Bonn im Januar und Februar Lehrkräfte der Sekundarstufen I und II aus allen Bundesländern. Das Sample erlaube repräsentative Befunde.

(olb)