Im Januar 2017 stieß Öivind Toverud auf eine spannende Anzeige. Es war ein Aufruf an Senioren, die daran interessiert waren, einem eSports-Team beizutreten. Das Ziel: Am Dreamhack Digital Festival in Schweden teilzunehmen und Counter-Strike zu spielen. „Ich hatte vorher noch nie CS:GO gespielt, fand die Idee aber spannend. So mit 78 Jahren hat man ja schon viel gemacht und ausprobiert, aber mit Videogames hatte ich bisher wenige Berührungspunkte, fand die Kultur drumherum aber immer schon interessant. Also habe ich spontan eine E-Mail geschrieben und mich beworben.“
Veranstaltet wurde die Aktion von Hardware-Gigant Lenovo, die riefen Toverud eines Tages an und fragten, ob er Zeit für ein Trainings-Lager hätte. „Klar, warum nicht“, sagte ich. Ich musste zwar meiner Skat-Runde für die Wochen absagen, aber die fanden es ziemlich cool, dass ich jetzt mit diesen Videogames etwas machen würde. Wir haben ja alle davon gehört, aber das letzte Spiel, was ich gespielt hatte, war einige Jahrzehnte her. Damals konnte man noch die Pixel einzeln zählen.“ Als wir ihn jetzt drei Jahre später treffen, hat er satte 1.300 Stunden in CS:GO auf der Uhr, eine KD von 0,9 sowie eine Headshot-Quote von 41,8 Prozent.
Die Anfänge von Team Silver Snipers
©Lenovo
„Wir waren eine lustige Truppe, bunt gemischt“, erinnert sich der schwedische Senior. „Einige Jungspunde mit 60 dabei, ein paar in meinem Alter. Wir verstanden uns auf Anhieb gut.“ Die von Lenovo gesponserten Silver Snipers wurden mit dem ausdrücklichen Ziel zusammengestellt, das Publikum des eSports zu erweitern, was normalerweise recht jung ist. Der älteste aktive CS-Profi aktuell ist Patrick “f0rest“ Lindberg mit 31, der gerade erst Ninjas in Pyjamas verlassen hat, um seine eigenes Squad mit seinen Buddies Adam ‘friberg’ Friberg, Christopher ‘GeT_RiGhT’ Alesund und Richard ‘Xizt’ Landström bei Dignitas zu gründen. Die Silver Sniper werden von dem ehemaligen Counter-Strike-Profi Tommy „Potti“ Ingemarsson trainiert – einem der Gründer von Ninjas in Pyjamas. Nach seiner aktiven Karriere hat er es sich zum Ziel gesetzt, Neulinge in die wunderbare Welt des Competitive Gamings einzuführen. Die Silver Snipers boten die Gelegenheit, dieses Konzept mit einer brandneuen demografischen Gruppe noch weiter voranzutreiben. “Wir wollten, dass alle involviert sind”, erzählt uns Tommy Ingemarsson. „Gaming ist nichts anderes als der Genuss von Filmen, Büchern oder Theater. Es sollte für jeden offen sein.“
Damit vor dem Training und der harten Arbeit der Spaß nicht zu kurz kam, entschieden sich die Rentner, jeweils einen Gamer-Tag auf Steam zu kreieren, der ihren Charakterzügen entsprach:
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„ Das war eine große Gaudi am ersten Tag. Ich nannte mich Windy, weil ich schnell schieße. Wanja nannte sich Knitting Knight, weil sie gerne strickt. Na ja, jeder braucht ja ein Hobby. Unser Küken Monica nannte sich Teen Slayer, wie passend“ Nach dem Gaudi begann das Training, schließlich hatten die Senioren alle noch nie Counter-Strike gespielt: „Die ersten Einheiten drehten sich rein darum, wie die Mechaniken funktionieren: Wie man schießt, Garanten wirft, sich duckt und Waffen kauft“, erklärt der CS-Profi und Trainer Tommy. Das Team nahm die Aufgabe direkt an und ziemlich ernst – alle kamen regelmäßig mit Fragen auf Tommy zu, eine druckte sogar das CS:GO-Tastaturlayout für die anderen aus. „Ich mochte Counter-Strike von Anfang an, ein tolles Spiel. Aber man braucht eine Menge Tasten, die Koordination aus Hand und Augen war für mich die größte Herausforderung.“
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“Die Koordination meiner Hand und Augen war die größte Challenge für mich“
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„Zu Beginn machten wir alle diesen Anfängerfehler, wo man die Augen vom Bildschirm wegbewegt und auf die Maus guckt oder die Tastatur, weil man ja die richtige Taste finden muss. Klar, da wirste natürlich gefragged“, erklärt Toverud. „Wir wurden schon ganz schön oft abgeschossen, die jungen Leute auf den Servern haben uns ziemlich den Hintern versohlt. Da muss man dann draus lernen – Fehler analysieren und eliminieren, wie ich immer so schön sage. Jeder Fehler ist ja eine Chance zu lernen und besser zu werden.“ Vor dem ersten Turnier auf der Dreamhack sind nur drei Wochen Zeit, ganz schön wenig, um die Tiefen von CS:GO zu ergründen, doch die Seniors geben Gas: Tommy lehrt ihnen, wie sie mit der Desert Eagle auf kurze Distanz zielen, wie sie die M4 anwenden, ohne zu sehr zu verziehen und wie sie mit Granaten einen Vorstoß antäuschen, obwohl sie auf Dust über die Treppe kommen.
„CS: GO ist ja letztlich wie Schach, man muss immer ein paar Züge weiterdenken, dann klappt das auch. Die Strategie und Kopfsache waren für uns alle weniger ein Problem, auch harmonierten wir gut im Team. Wir taten uns nur schwer, dann auch richtig zu reagieren – da saß dann der Call-Out wie “AK-Schütze auf 9 Uhr“, aber dann musst du den ja auch noch treffen.“ Die Senioren spielen zunächst gegen Bots, dann menschliche Mitspieler und schließlich Freunde von Tommy, die ebenfalls helfen wollen und aus der CS-Community kommen. „Das Team war von Anfang an super engagiert und wollte richtig was reißen, sehr beeindruckend. CS ist ein komplexes Spiel, was seine Anforderungen an Hand-Augen-Koordination angeht.“ Warum hat sich Lenovo eigentlich für diesen Titel entschieden? „Alle anderen eSports-Titel sind sehr, sehr viel komplexer und nicht in drei Wochen erlernbar – CS:GO ist deutlich intuitiver als League of Legends oder auch Overwatch, wo sich jeder Held komplett unterschiedlich spielt und man auf viel mehr Varianten im Gameplay achten muss.
„Durch CS:GO haben mein Mann und ich ein völlig neues Hobby für uns entdeckt“
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Auch Monica ist vollends begeistert über ihre Entdeckung von CS:GO: „Ich spiele heute viel mit meinem Mann Arne, den ich für CS begeistern konnte. Ich finde es toll, dass wir nach all den Jahren wieder ein neues gemeinsames Hobby gefunden haben. Man ist ja schon ein bisschen verheiratet und kennt sich so um die 40 Jahre. Da fällt es schwer, den Liebling zu überraschen. Zum Geburtstag gab’s gerade erst eine neue Gaming-Maus und wir haben unser Internet einem Upgrade unterzogen.“
Auch Arne ist super happy, als wir die Beiden auf Skype anrufen: „Ich liebe diese Community. Jetzt ist eben Corona und alles eher virtuell, aber als wir auf der Dreamhack waren und konnten mit all diesen jungen Leuten zocken, das war wunderbar. Ich weiß, es klingt komisch, wenn ich das so sage, aber mit 60 hast du normalerweise wenig Kontakt zu Leuten um die 20, wenn es nicht gerade die eigenen Enkel sind. Wir haben uns toll unterhalten, über Musik, Filme und Gaming. Ich habe sehr viel von den Teilnehmern gelernt, konnte aber auch ein bisschen etwas erzählen, was für sie interessant war.“ Ihre Enkel lieben die Beiden sehr, Monica hat gleich acht Enkelkinder, die regelmäßig zu Besuch kommen. Die sind allerdings alle noch etwas zu klein für CS:GO. „Wir spielen viel zusammen, aber eher kindgerechte Titel, kein CS. Die Kleinste ist gerade fünf, die Größte neun. Aber mit den Großen spiele ich CS.“
„Mein Gehirn arbeitet viel schneller, meine Reflexe sind wie vor 20, 30 Jahren“
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„Ich glaube, es gibt wenig Besseres, um sich mental fit zu halten. Du musst in CS sehr situativ denken, dich permanent auf neue Situationen einstellen, schnell reagieren. Du trainierst deine Reflexe, lernst im Team wie eine Einheit zu funktionieren.“ Das bestätigt auch der 78 Jahre junge Öivind Toverud: „Früher hat mir mein Doktor irgendwelche Medikamente verschrieben, weil ich mich oft müde fühlte. Heute spiele ich CS und bin hell wach.“ Mittlerweile hat er auch einige seiner Buddies aus der wöchentlichen Skat-Runde ermutigt, sich mal zu probieren.
Lenovo hat dem Team ein eigenes Team-Haus in Stockholm spendiert, hier laden sie regelmäßig ältere Gamer ein, die in der Regel keinen Gaming-PC oder Laptop zu Hause haben. „Das ist eine ganz neue Lebensqualität: Ich bin heute in Virtual Reality mit meiner Oculus Rift ständig im Urlaub und in fernen Ländern, und wir haben regelrecht Fans auf den Events, wo wir spielen.“ Und wie im eSports üblich, gibt’s natürlich auch eine schwelende Rivalität: „Die Grey Gunners sind größtenteils Jungspunde, kaum 60 Jahre alt. Aber wenn ich an der AWP bin, macht einem Silver Sniper keiner was vor“ – er grinst. Arne Peter ist übrigens jetzt sein Rifler – „der macht alles platt mit der M4, der Junge hat noch eine steile Karriere vor sich. Ist ja noch jung“, resümiert der Teamchef mit einem dicken Grinsen.
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Die Grey Gunners unter Teamchef “Dirty Harry” brachten den Silver Snipers einige empfindliche Niederlagen auf der Dreamhack bei, doch das Senioren-Team gab nicht auf, trainierte hart und konnte sich bereits Ende 2018 die Nordic Championships sichern.
„Wir entwickelten uns“, erinnert sich Abbe “DieHardBirdie“ Borg. „Noch zu Beginn von 2018 spielten wir sehr Basic, wir hatten das CS:GO-Ein-mal-Eins verstanden, jetzt galt es zu ergründen, wie man dieses Spiel meistert.“ Die Silver Sniper trainierten auf speziellen AVP-Maps, um ihre Präzision mit dem legendären Scharfschützengewehr zu trainieren: „Die AVP zu beherrschen ist die Königsklasse, es ist nicht einfach, schnell genug zu ziehen, anzuvisieren und dann den Headshot zu landen. Die jüngeren Pros schaffen das auch aus dem Sprung heraus, was quasi die nächste Ebene ist.“
©Lenovo
Es ist einfach eine faszinierende Geschichte, die wir hier auf PC WELT umbedingt erzählen wollten. Weil ältere Menschen gerne aufs Abstellgleis geschoben werden. Weil man ihnen letztlich nichts mehr zutraut. Für die Silver Sniper ging es nie darum, das große Geld zu verdienen, auch wenn sie natürlich Donations auf Twitch erhalten und einen Vertrag mit ihrem Sponsor Lenovo haben. Gaming sollte für alle da sein, egal welchen Alters. Zuletzt hat Nintendos Wii gezeigt, wie Spiele verbinden können. Der eine singt gerne, der andere spielt Tennis oder Bowling auf der Wii. Und wieder andere wollen sich kompetitiv messen. Das sollten wir als eSports-Enthusiasten feiern, schließlich werden wir alle älter – der Autor dieser Zeilen wird sicherlich auch in 30, 40, 50 Jahren noch mit seinen Buddies CS zu spielen – mit einem Drink in der Hand am Pool in Florida, wenn alles glatt läuft. Besonders schön auch, dass sich die Silver Sniper 2019 auf der Dreamhack selbst belohnten: Im Grand Final schlugen sie die Grey Gunners und krönten sich zum Senior World Champion. Der 85-jährige Borg überraschte daraufhin nicht nur mit dem Pokal, sondern auch seinen Skills seine Enkel – „ich bin jetzt der coole Opa, der Quick-Scope mit der AWP Headshots zieht. Wir machen jetzt regelmäßig LAN-Partys bei mir.“ Wer selbst mal Lust hat, mit Gleichaltrigen zu spielen und über 35 ist, der sollte mal auf https://www.senior-esports.ch vorbeischauen. Wir haben den Gründer und CEO René Merkli gerade erst getroffen und bringen in den nächsten Wochen ein Special über die eSports-Liga für Papas und Mamas. PC WELT wünscht viel Erfolg und happy Gaming im Jahr 2021.