Eric Raymond: Windows wird irgendwann durch Linux-Unterbau ersetzt

Open-Source-Pionier Eric Raymond geht davon aus, dass Microsoft die Windows-Entwicklung einstellt und durch eine Emulations-Schicht auf Linux-Basis ersetzt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 995 Kommentare lesen
Open Source Summit Europe: Realtime-Erweiterungen bald im Linux-Kernel

(Bild: Siggy Nowak, gemeinfrei)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel

Open-Source-Aktivist Eric S. Raymond, in der Linux-Gemeinde auch oft einfach unter seinem Hacker-Namen ESR bekannt, ist der Meinung, dass Linux bald auch den Desktop-Markt dominieren wird.

Dieser von vielen Linux-Anhängern seit Jahrzehnten herbeigeschworene Moment wird allerdings ganz anders Realität werden, als bisher erwartet, meint Raymond. In einem Blog-Artikel legt er seine Argumente dafür dar, warum gerade Microsoft der treibende Faktor in dieser Entwicklung ist. Kerntechnologien sind laut ESR das Windows Subsystem for Linux, das von Valve entwickelte Emulationssystem Proton und die Tatsache, dass Microsoft seinen Edge Browser auch für Linux veröffentlichen will.

Eric Raymond vermutet, dass Microsoft in Zukunft die Entwicklungsarbeit am Windows-Kernel einstellen und diesen durch eine Emulationsschicht, die auf dem Linux-Kernel aufsetzt, ersetzen wird. Proton und Edge für Linux sind seiner Meinung nach dabei die beiden wichtigen Puzzlestücke, die existierende native Windows-Programme und Microsoft-spezifische Web-Apps den Wechsel auf ein Linux-basiertes System ermöglichen werden. Das zum Teil auf Wine basierende Proton sei zwar bisher auf Spiele fokussiert und funktioniere noch nicht perfekt, doch ist Raymond der Meinung, dass eine Emulations-Software, die Spiele reibungslos zum Laufen bringt auch locker mit Office-Programmen fertig werde. Die Spiele-Ausrichtung von Proton sei damit nur so etwas wie ein Testlauf für ein viel allgemeineres Einsatzgebiet in der Zukunft.

Raymond lässt dabei allerdings außer Acht, dass Proton ein Valve-Projekt ist und diese Firma historisch ein teilweise schwieriges Verhältnis zu Microsoft pflegt – nicht zuletzt, weil Firmengründer Gabe Newell Microsoft in den '90ern auch deswegen verlies, weil er mit der Entwicklungsrichtung von Windows nicht zufrieden war. Auf der anderen Seite hat in den letzten Jahren eine deutliche Annäherung zwischen beiden Firmen stattgefunden, wohl auch weil Microsoft unter Satya Nadella seine Windows-Strategie deutlich geändert hat. Diese Richtungsänderung hält Eric Raymond für so substanziell, dass er davon ausgeht, dass Microsoft in naher Zukunft die Entwicklung von Windows deutlich zurückfahren wird.

Laut Raymond ist Windows schon lange nicht mehr Microsofts Kerngeschäft. Microsoft, betont ESR, mache nun sein ganzes Geld mit Azure und "weit verbreiteten Gerüchten zufolge laufen auf Azure mehr Linux-Instanzen als Windows". Wenn Microsoft aber nicht mehr mit Windows sein Geld verdiene, so sei es nur logisch, die teure Entwicklung dieses Betriebssystems herunterzufahren und durch den kostenlosen Linux-Kernel und Open-Source-Emulations-Software wie Proton zu ersetzen. Das sei auch der Grund hinter der Entwicklung des Windows Subsystem for Linux, in dessen Zuge Microsoft-Entwickler erste öffentliche Änderungen am Linux-Kernel beigetragen hätten und sich so an Linux-Entwicklung gewöhnen konnten.

Am Ende werde Microsoft dann irgendwann die Unterstützung für die Windows-Emulations-Schicht auf seinem Linux-Kernel komplett einstellen (ähnlich Apples Migration von PowerPC zu Intel) und Linux hätte an diesem Punkt die "Desktop Wars" gewonnen. Linux-ELF-Binaries wären somit dann der neue Standard für alle PC-Betriebssysteme, prognostiziert ESR am Ende seines Blog-Artikels.

Mit seinem Beitrag hat Eric Raymond eine erneute rege Diskussion über die Rolle von Linux auf dem Desktop und Microsofts Linux-spezifische Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit ausgelöst. Ob Raymond dabei die Beweggründe von Microsoft ausreichend einschätzen kann, ist zumindest fraglich. ESR kann zusammen mit Richard Stallman getrost als Visionär der Open-Source- und Free-Software-Bewegung bezeichnet werden. Allerdings hat er, genau wie Stallman, in der jüngeren Vergangenheit stark an Einfluss eingebüßt.

Raymond, der zusammen mit Bruce Perens die Open Source Intiative begründet und mit seinem Aufsatz The Cathedral and the Bazaar den Grundstein des Begriffes "Open Source" gelegt hatte, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem durch Kontroversen in der Linux-Gemeinde hervorgetan. Abseits von technischen Streitigkeiten ist vor allem Raymonds positive Einstellung gegenüber Schusswaffen und seine Ablehnung von Code-of-Conduct-Dokumenten für Software-Entwickler besonders bei jüngeren Mitgliedern der Linux-Gemeinde eher unbeliebt. Was aber nicht unbedingt heißen muss, dass seine Einschätzung zu Microsofts Windows-Plänen falsch sein muss.

(fab)