Zweites Leben mit Linux: Wie Unternehmen alte Windows-Rechner retten können​

Erreicht ein Windows-Rechner das Lebensende, klappt mit Linux oft noch lange ein Weiterbetrieb. Das schont Ressourcen, Umwelt und den Geldbeutel. Teil 1 von 3.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tim Schürmann
Inhaltsverzeichnis

Windows 11 verlangt moderne Hardware. Gleichzeitig läuft der Support für die Vorversion Windows 10 2025 aus. Viele Unternehmen kommen folglich nicht umhin, der Finanzabteilung Tränen in die Augen zu treiben und ihre IT kostspielig zu erneuern. Das gilt selbst dann, wenn die bisherige Hardware zuverlässig weiterarbeiten würde.

Bevor man jedoch die funktionierenden Systeme vorzeitig dem Recycling zuführt und so die Umwelt (und das Firmen-Budget) belastet, sollte man einen Blick auf Linux werfen. Das freie Betriebssystem ist deutlich genügsamer als Windows und mit der geschickten Wahl einer Distribution kann man die Lebensdauer für Server, Workstations und Notebooks deutlich verlängern.

iX-tract
  • Aufgrund ihrer geringeren Systemanforderungen laufen Linux-Systeme auf älterer Hardware flüssig.
  • Enterprise-Distributionen bieten professionellen Support und lange Wartungszeiträume, wodurch sich Hardware kostengünstig länger einsetzen lässt.
  • Spezialisierte Linux-Distributionen geben alter Hardware eine neue Funktion. So arbeiten alte Server als Firewall oder Backup-Server weiter, aus Desktop-Systemen entsteht ein Kiosk-Terminal.
  • Administratoren müssen sich jedoch mit Linux und der gewählten Distributionen auskennen. Zudem unterstützt das Betriebssystem nicht jede Hardwarekomponente, weshalb immer Tests vorausgehen sollten.

Auf älteren Geräten arbeitet Linux im Vergleich zu Windows meist deutlich flotter. Das gilt erst recht, wenn noch eine Festplatte im System rotiert. Zum Vergleich: Auf einem mittlerweile über drei Jahre alten, vollständig abgeschriebenen Lenovo Thinkpad E480 startet das aktuelle LTS-Ubuntu 22.04 in knapp 11 Sekunden bis zum Desktop durch. Windows braucht dafür mehr als doppelt so lange. Darüber hinaus belegt ein Linux-System weniger Speicherplatz. So passt etwa ein vollständiger Webserver in gerade einmal 200 MByte. Einige Linux-Distributionen sind sogar explizit auf besonders schwachbrüstige Systeme zugeschnitten oder konzentrieren sich auf eine spezielle Aufgabe. Mit ihnen verwandelt man beispielsweise schnell einen alten Server in eine zukunftssichere Firewall. Diese Systeme stellt der dritte Teil dieser Artikelreihe vor.

Die Desktop-Umgebung Xfce verschlingt weniger Ressourcen als Gnome und KDE Plasma. Verlegt man die Leiste am oberen Rand nach unten an die Stelle des Docks, erinnert die Oberfläche eher an Windows als macOS.

Auf angestaubten Workstations und Notebooks empfehlen sich die ressourcensparenden Desktop-Umgebungen Xfce, LXDE oder Mate. Ihre Benutzeroberflächen lassen sich zudem so konfigurieren, dass sie an Windows oder macOS erinnern und damit den Umstieg auf Linux erleichtern. Noch einmal deutlich schlanker sind Fenstermanager wie IceWM oder Openbox, die allerdings mit einer gewöhnungsbedürftigen Bedienung aufwarten. Aber auch moderne Desktop-Umgebungen wie KDE Plasma oder Gnome laufen unseren Erfahrungen nach auf älteren Systemen flott, sofern mindestens 2 GByte Hauptspeicher im System stecken. Selbst auf einem alten Atom-D2500-Prozessor aus dem Jahr 2012 konnten wir Gnome flüssig betreiben.

IceWM begnügt sich mit wenigen MByte, katapultiert seine Nutzer aber auch zurück in die 90er.

Während die Entwickler bei brandneuen Geräten Linux-Treiber erst noch umständlich und teilweise per Reverse Engineering implementieren müssen, konnte die Community die Treiber für ältere Komponenten schon länger in der Praxis testen und optimieren. Darüber hinaus ist es Linux herzlich egal, ob UEFI, Secure Boot oder ein TPM im System stecken. So arbeiten ein drei Jahre altes ThinkPad E590 sowie eine sechs Jahre alte Workstation im täglichen Arbeitsalltag reibungslos unter openSUSE Tumbleweed. Selbst auf einer Workstation aus dem Jahr 2009 mit einem antiken Intel Core i7-870 startete das aktuelle LTS-Ubuntu 22.04 ohne zu murren, LibreOffice und Firefox rannten ohne spürbare Verzögerungen.

Mittlerweile dominieren vielerorts komplexe Webanwendungen den Arbeitsalltag. Folglich sollten diese für den professionellen Einsatz auch auf alter Hardware möglichst flott im Browser laufen. Um die Geschwindigkeiten der angestaubten Rechner etwas näher zu untersuchen, haben wir die Benchmarks von Browserbench.org sowohl unter Linux als auch Windows innerhalb von Firefox angeworfen. Der Browser und somit später eine Webanwendung läuft um so flotter, je höher die Werte der Benchmarks ausfallen. Wer das eigene System mit unseren Werten vergleichen möchte, muss lediglich die Benchmarks im Browser starten.

Tabelle 1: Benchmark Ergebnisse von browserbench.org – Linux vs. Windows
Rechner Intel D2500HN Lenovo ThinkPad E480 Lenovo ThinkPad E590 Workstation 1 (Eigenbau) Workstation 2 (Eigenbau)
Prozessor Intel Atom D2500 Intel Core i5-8250U Intel Core i5-8265U Intel Core i7-6800K Intel Core i7-870
RAM 2 GB 8 GB 8 GB 32 GB 16 GB
Baujahr 2012 2017 2018 2016 2009
Startzeiten
Datenträger USB-Stick SSD SSD und Festplatte SSD und Festplatte SSD und Festplatte
Linux-Distribution Ubuntu 22.04 Ubuntu 22.04 openSUSE Tumbleweed openSUSE Tumbleweed Ubuntu 22.04
Systemstart Linux (bis Desktop) > 15 Minuten (vom USB-Stick) 11 Sekunden 27 Sekunden 15 Sekunden 74 Sekunden (vom USB-Stick)
Windows-Version Angabe nicht möglich Windows 10 Windows 10 Windows 10 Windows 7
Systemstart Windows (bis Desktop) Angabe nicht möglich 24 Sekunden 22 Sekunden 20 Sekunden 21 Sekunden
Benchmark-Ergebnisse
Linux (Firefox)
JetStream2 Angabe nicht möglich (Abbruch nach über 3 Stunden) 68176 53876 75866 51307
MotionMark 1.2 Angabe nicht möglich 178,99 49,37 157,63 7,08
Speedometer 2.0 Angabe nicht möglich 75,69 Runs/Minute 47,0 Runs/Minute 74,4 Runs/Minute 51,9 Runs/Minute
Windows 10 (Firefox)
JetStream2 Angabe nicht möglich 69895 65574 74542 Angabe nicht möglich
MotionMark 1.2 Angabe nicht möglich 28,04 60,39 279,41 Angabe nicht möglich
Speedometer 2.0 Angabe nicht möglich 61,7 Runs/Minute 67,9 Runs/Minute 98,55 Runs/Minute Angabe nicht möglich
(Einstellungen: Firefox Bildschirmfüllend, je drei Durchgänge; Tests von browserbench.org)

Jeder Einzeltest lief im Vollbildmodus dreimal durch, anschließend wählten wir den mittleren Wert. Ergänzend maßen wir auf allen Rechnern die Startzeiten von Linux und Windows bis zum Erscheinen des Desktops. Sämtliche Ergebnisse sammelt Tabelle 1. Während Linux in den meisten Fällen doppelt so schnell startet wie Windows 10, fallen die Benchmark-Werte vor allem im prozessorlastigen JetStream2-Test fast identisch aus. Die durchweg hohen Zahlen bestätigen zudem noch einmal die gefühlte Geschwindigkeit im Alltag: Selbst auf älteren Systemen läuft die Arbeit in Firefox verzögerungsfrei ab. Darüber hinausgehende Rückschlüsse erlauben unsere Messungen aber nicht. Insbesondere können leistungshungrige Spezialanwendungen, etwa aus dem Big-Data-Bereich, einen schwachen Prozessor auch auf einem Linux-System an seine Grenzen treiben.

Der von Browserbench.org angebotene Benchmark JetStream2 führt zahlreiche mathematische Berechnungen durch und ermittelt aus den Rechengeschwindigkeiten einen Punktwert.

(Bild: Screenshot browserbench.org)

In unseren Tests fiel zudem auf, wie stark die Leistung eines Systems vom Massen- und Hauptspeicher abhängt: Die recht niedrigen Benchmark-Ergebnisse auf dem ThinkPad E590 erklärten sich dadurch, dass Linux auf der HDD installiert war. Nachdem wir Linux vollständig im Hauptspeicher laufen ließen, schoss der JetStream2-Test auf 74446 Punkte. Ähnliches galt auch für Intels D2500HN-System mit Atom-Prozessor. Auf ihm stand nur ein sehr langsamer Flash-Speicher zur Verfügung, der schon den Start von Ubuntu 22.04 auf weit über 15 Minuten verzögerte. Einmal hochgefahren lief die Distribution jedoch flüssig, auch Firefox ließ sich verzögerungsfrei nutzen. Als Bremse machte sich allerdings jeder Zugriff auf das Speichermedium deutlich bemerkbar. Das verzögerte auch die Benchmarks so weit, dass wir nach mehreren Stunden Laufzeit den D2500HN abschalteten und so von seiner Aufgabe erlösten.

Auch wenn sich Linux aufgrund seines relativ genügsamen Ressourcenbedarfs für den Betrieb auf älteren Systemen geradezu aufdrängt, lässt sich das freie Betriebssystem nicht immer problemlos einsetzen. So fehlen vor allem für Spezialhardware oder individuell für ein Unternehmen gefertigte Geräte passende Treiber. Auf den bereits erwähnten ThinkPads E480 und E590 lässt sich beispielsweise der verbaute Fingerabdrucksensor nicht in Betrieb nehmen. Die Sondertasten, die Webcam und alle übrigen Hardwarekomponenten funktionieren hingegen zuverlässig. Ob Linux reibungslos auf einem System läuft, lässt sich leicht mit einem der vielen verfügbaren Live-Systeme ausprobieren.

Dabei sollte man durchaus umfassend testen und auch genauer hinsehen: Selbst bei unterstützter Hardware bieten die vorhandenen Linux-Treiber nicht immer den vollen Funktionsumfang ihrer Windows-Pendants. Das bekommen insbesondere Nutzer von Druckern und Scannern zu spüren. Für Windows entwickelte Individualsoftware lässt sich zudem nicht immer unter Linux starten. Mit etwas Glück klappt es über die Zwischenschicht WINE oder in einer virtuellen Maschine, wobei letzteres wieder entsprechende Rechenleistung voraussetzt. Auf macOS-Software muss man komplett verzichten.

Einige Notebooks saugen des Weiteren selbst mit Optimierungen den Akku etwas schneller leer als unter Windows. Laptops haben zudem immer wieder Probleme, ordnungsgemäß aus dem Tiefschlaf aufzuwachen. Bei den ThinkPads E480 und E590 funktionierten die Energiesparmodi jedoch bislang. Apropos Stromverbrauch: Angestaubte Hardware frisst im laufenden Betrieb häufig mehr Strom als energiesparende aktuelle Modelle. Bei älteren Atom-Systemen ist beispielsweise der Chipsatz als durstiger Stromschlucker bekannt. Hier muss man genau evaluieren, ob sich ein Weiterbetrieb mit Linux langfristig lohnt oder ob man nicht doch besser in ein neues stromsparendes System investiert.

In jedem Fall müssen die Linux-Systeme gewartet werden, die Administratoren benötigen folglich passendes Wissen. In einem Unternehmen mit reiner Windows-Struktur dürfte es daher günstiger sein, sukzessive ältere Systeme durch neue mit Windows 11 zu ersetzen. Die ausgemusterten Systeme lassen sich allerdings auch dann noch mit einfach zu bedienenden Linux-Systemen zweckentfremden und beispielsweise in ein Kiosksystem für den Verkaufsraum verwandeln.

Teil 2 unserer dreiteiligen Online-Reihe "Zweites Leben mit Linux" betrachtet die prominentesten Vertreter unter den Linux-Distributionen näher. Der finale dritte Teil widmet sich den dediziert schlanken Distributionen, die auch leistungsschwacher Hardware zu einem zweiten Frühling verhelfen können. Die Serie erscheint wöchentlich.

(jvo)